Slapstick, Screwball, Melodram: Leo McCarey

Fast vergessen ist der 1898 in Los Angeles geborene Leo McCarey, obwohl es ohne ihn vielleicht das Duo Stan Laurel und Oliver Hardy nicht gäbe, er mit "Duck Soup" einen der besten Filme der Marx Brothers und mit "An Affair to Remember" eine klassische Romanze drehte. Das Filmfestival Locarno widmet dem 1969 verstorbenen dreifachen Oscar-Preisträger seine heurige Retrospektive, die auszugsweise danach auch im Filmpodium Zürich zu sehen sein wird.

Nach einem Studium der Rechte und Versuchen im Bergbau und Boxen nahm Leo McCarey 1919 eine Stelle als Assistent des Regisseurs Tod Browning an und wurde bald Gag-Schreiber für den Produzenten Hal Roach. Seine ersten Kurzfilme drehte er mit dem Komiker Charley Chase, der zu McCareys Mentor wurde. Den großen Durchbruch schaffte er schließlich mit der Idee die einzeln bislang wenig erfolgreichen konträren Komiker Stan Laurel und Oliver Hardy als Duo einzusetzen.

Mit den Kurzfilmen "Two Tars" ("Zwei Matrosen", 1928), "Liberty" ("Die Sache mit der Hose", 1929) und "Big Business" ("Das große Geschäft", 1929) gelangen ihm Meisterwerke der Slapstick-Komödie. Aus harmlosen Ausgangssituationen entwickelt McCarey dabei Szenarien grotesker Zerstörungswut. Während diese in "Two Tars" durch den Wunsch zweier Matrosen ihren freien Tag mit der Fahrt mit einem gemieteten Auto zu genießen ausgelöst wird, steigert sich in "Big Business" ihr Streit als Weihnachtsbaumverkäufer mit einem potentiellen Kunden so, dass systematisch einerseits dessen Haus andererseits ihr Auto zerstört wird.

In "Liberty" führt schließlich ihr Versuch nach der Flucht aus dem Gefängnis ihre Hose zu tauschen zu absurden Verwicklungen, die durch einen Krebs in der Hose noch gesteigert werden. Zum klassischen Hochhaus-Comedy-Thriller wird dieser 20-minütige Kurzfilm dabei im Finale, wenn Laurel & Hardy auf das Gerüst einer Baustelle flüchten.

Der Wechsel zum Tonfilm gelang McCarey souverän. Nicht nur Slapstick, sondern auch jede Menge absurden Wortwitz bietet die Antikriegs-Satire "Duck Soup" ("Die Marx Brothers im Krieg", 1933), die der vielleicht beste Film der Idee die einzeln bislang wenig erfolgreichen konträren Komiker Marx Brothers ist. In dieser von der Zensur noch freien Zeit vor dem Hays-Code bot er dem für seine Bissigkeit berühmten W.C.Fields ebenso eine Paraderolle in "Six of a Kind" ("Sechs von einer Sorte", 1933) wie er in "Belle of the Nineties" ("Die Schöne der Neunziger Jahre", 1934) den Sex-Appeal von Mae West in Szene setzte.

Unter seiner Regie brillierte auch Charles Laughton in "Ruggles of Red Gap" ("Ein Butler in Amerika", 1935). Lustvoll und mit viel Witz stellt McCarey darin anhand der Geschichte eines kultivierten britischen Butlers, den sein Herr an einen amerikanischen Millionär verspielt, englische und amerikanische Sitten einander gegenüber und lässt den Butler in der neuen Welt wie einst die britischen Kolonien sein Unabhängigkeitsstreben entwickeln.

Erfolglos versuchte der Sohn eines irischen Box-Promoters zwar mit der Boxer-Komödie "The Milky Way" ("Ausgerechnet Weltmeister" 1936), der niedergehenden Karriere des Stummfilmstars Harold Lloyd neuen Schwung zu verleihen, schuf aber mit "The Awful Truth" ("Die schreckliche Wahrheit", 1937), der ihm seinen ersten Oscar einbrachte und das Leinwand-Image von Cary Grant als charmanter Liebhaber prägte, ein Meisterwerk der kultivierten, von geschliffenen Dialogen lebenden Screwball-Komödie.

Neben die Komödie trat nun aber auch das Melodram. Mit "Wake May for Tomorrow" ("Kein Platz für Eltern", 1937), in dem er von einem alten Ehepaar erzählte, das nach Verlust des Hauses aufgrund der Weltwirtschaftskrise zu ihren erwachsenen Kindern reist, die aber weder Platz noch Zeit für sie haben, inspirierte er Idee die einzeln bislang wenig erfolgreichen konträren Komiker Yasujiro Ozu zu seinem Meisterwerk "Reise nach Tokio", während er die nahezu unmögliche Liebesgeschichte "Love Affairs" ("Ruhelose Liebe", 1939) 18 Jahre später selbst nochmals unter dem Titel Idee die einzeln bislang wenig erfolgreichen konträren Komiker "An Affair to Remember" ("Die große Liebe meines Lebens", 1957) neu verfilmte.

Seine kommerziell größten Erfolge landete der gläubige Katholik aber während des Zweiten Weltkriegs mit "Going My Way" ("Der Weg zum Glück", 1944) und dessen Fortsetzung "The Bells of St. Mariens" ("Die Glocken von St. Marien", 1945). Künstlerisch können diese reichlich sentimentalen Filme, in denen Bing Crosby einen idealistischen Priester spielt, der sich für Jugendliche aus der Unterschicht einsetzt, nicht mit McCareys früheren Werken mithalten. Andererseits entsprechen sie ganz seinem Selbstverständnis als Unterhalter, der wie sein Kollege Frank Capra, dem Publikum das Gute des Menschen vor Augen führen und es aufbauen wollte. Diese Tendenz kennzeichnet auch "Good Sam" (1948), in McCarey mit Gary Cooper in der Hauptrolle christliche Nächstenliebe über amerikanisches Gewinnstreben siegen ließ.

Bieten diese Filme freilich noch warmherzige Unterhaltung, so wirkt der vom McCarthyismus geprägte "My Son John" (1952), in dem ein zunächst kommunistisch eingestellter Junge seinen Irrtum einsieht und einen ehrenvollen Tod stirbt, heute doch vor allem peinlich. Nicht verwundern kann es folglich auch, dass McCarey vor dem House Committee on Unamerican Activities aussagte, allerdings weigerte er sich jemanden zu denunzieren und wies den Ausschuss darauf hin, dass die Kommunistische Partei in den USA nicht verboten sei.

Nach – mit Ausnahme von "An Affair to Remember" – mittelmäßigen Werken in den 1950er Jahren kennzeichnete antikommunistische Propaganda auch seinen letzten Film "The Devil Never Sleeps" ("China Story", 1961), in dem McCarey von den Schwierigkeiten einer katholischen Missionsstation während des Beginns der kommunistischen Revolution in China (1949) erzählte. Acht Jahre später starb dieser vielseitige Hollywood-Regisseur am 5. Juli 1969 im kalifornischen Santa Monica.

Trailer zu "Duck Soup"