Selbstoptimierung

Der Trend zur Produktivitätssteigerung verstärkt sich mit der Technik und verfügbaren Technologie. Seit der Industrialisierung ist der Mensch zur Maschine geworden, zum Rädchen im Räderwerk, das Laufen muss. Immer galt es, Leistung zu steigern, zu verhindern, Sand im Getriebe zu werden. Fortschritt war zur Devise geworden, Disziplin der Schlüssel zum Erfolg, Standardisierung die nötige Voraussetzung für die gigantische Ausrichtung, die in der Globalisierung ungeahnte Ausmaße annahm.

Der herrschende Leistungsbegriff bestimmt wesentlich das Werteverständnis. Gegenwärtig, 69 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der bis anhin schlimmsten, grausamsten humanen Vernichtungsaktion, die zugleich Motor für wissenschaftliche Innovation und technischen Fortschritt war, kommen „wir“ wieder nahe an ein fatales Verständnis von „unwertem“ Leben heran, über die Hintertür, über die geforderte hohe Produktivität, über die Selbstausbeutung als Bedingung für Erfolg und Weiterkommen (Fortschreiten im Fortschritt). Wer nichts leistet, nicht nach den geforderten Normen Leistung erbringt, hat nicht nur keinen Erfolg, sondern wird zum Ballast, zur Belastung, zum Störfaktor, zum „Feind“.

Die Anpassungsleistungen fordern ihren Zoll, den viele nicht erbringen können, die „auf der Strecke“ bleiben, die ausbrennen im Verheizungsprogramm, die als Burn Outs zum bedenklichen Kostenfaktor werden.

Die Gegenbewegungen sind stark, vor allem durch wieder erstarkte Religionen. Aber deren Remeduren stellen keine wirkliche Alternative dar, sind Rückfälle, die sich oft, wie bei den meisten Moslems, in einer Angst vor der Moderne äußern, die ihrerseits nahe an die Konzepte des Faschismus heranreichen oder ihn gar ersetzen und weiterführen, womit sich die eigentliche Lagerbildung zeigt: Kapitalismus mit seinem Optimierungsdenken hier, religiöse Angstkultur dort. Es fehlt das politische Korrektiv, außer man ist geneigt, den Islam als politisches Programm zu sehen und dementsprechend zu begegnen, was aber, entsprechend den Werten einer pseudo aufgeklärten modernen Gesellschaft, kaum unternommen wird. Die Widersprüche werden verdeckt, überlagert und umgenannt.

Die Technologie hilft unserem System und seiner Optimierungsausrichtung. Es gewinnt, wie jedes System, mit der Internalisierung. Je stärker bestimmte Werte internalisiert angenommen und praktiziert werden, desto erfolgreicher und stärker das System. Das machte immer schon die Macht der Religionen und Kirchen aus. Das erklärt aber auch den Mythos des American way of life. Es zeichnet auch die Bildungsprogramme der modernen Gesellschaften aus. Ziel ist nicht mehr die Persönlichkeitsbildung reifer, mündiger Menschen, sondern die Heranbildung von Funktionären, von Typen, die ihre Rolle maximal erfüllen (Erfüllungsgehilfen als Mitläufer).

Die social media wirken hier als Verstärker und „Selbsterzieher“ im weltumspannenden Programm der Deprivatisierung und Gleichausrichtung, das oft einer freiwilligen Gleichschaltung entspricht. Selbstoptimierung erfolgt über penible Selbstbeobachtung. Heute leisten moderne Messgeräte eine persönliche Überwachung, die weit über das hinaus geht, was sich Tyrannen, Despoten und Diktatoren je erträumt hatten. Und, welch ein Fortschritt, es bedarf keiner eigenen Polizei, keines oktroyierten Systems: viele machen freiwillig mit, praktizieren die sozialisierten Werte, üben die Beobachtung, Überwachung, Aufzeichnung über sich, an sich, in sich, tagtäglich und nächtlich, um zu wissen, welche Bewegungen wann, wie oft wo erfolgten, wie der Blutdruck war, der Stoffwechsel ablief, wann wie geschlafen wurde, neben den ordinären Handlungsdaten des Kommunikationsverhaltens usw. usf. Gespeichert, kommuniziert, untersucht und wissenschaftlich basiert bewertet. Fortschrittsausweis.

Alles, um in einem umfassenden Selfmanagement, mit klugem Zeitmanagement sein Leistungspotential zu steigern, mehr aus sich herauszuholen, erfolgreich zu sein und zu bleiben. Um Gewinner zu sein, um kein Looser zu werden. Cui bono?