Sehnsucht Persien

Mit "Sehnsucht Persien" präsentiert das Museum Rietberg eine Sonderausstellung zu Persien/Iran und seinen vielfältigen Verflechtungen mit Europa. Die Schau mit rund 200 Werken konzentriert sich auf drei Themen: die künstlerische Beschäftigung mit Persien im barocken Europa, die Auseinandersetzung mit europäischen Bildern im safawidischen Persien (1590–1720) und Gegenwartskunst aus Teheran.

Als Europa und Persien vor etwas mehr als vierhundert Jahren begannen, näher in Kontakt zu treten, entwickelten sich vielfältige Beziehungen auf diplomatischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Ebene. Persien und Europa begegneten sich auf gleicher Augenhöhe. Gesandtschaften wurden hin und her geschickt in der Hoffnung, gemeinsam gegen das mächtige Osmanische Reich vorzugehen, das sowohl für Europa wie für das Safawidenreich immer wieder Anlass zur Sorge war. Gleichzeitig schürte der Handel mit persischer Seide die Hoffnung auf grosse Gewinne. Die Ostindien-Kompanien der Niederlande und Englands buhlten am Hof von Isfahan um Privilegien und eröffneten Handelsniederlassungen.

Französische Orden siedelten sich in Neu-Julfa, dem armenischen Viertel der persischen Hauptstadt an und nach und nach reisten auch Künstler, Abenteurer, Juweliere, Uhrmacher und Handwerker in das ferne Persien. Unter ihnen befand sich auch der Zürcher Johann Rudolph Stadler, der persönliche Uhrmacher von Schah Safi I., der 1637 in Isfahan hingerichtet wurde. Von seinem dramatischen Schicksal berichtet unter anderem der hugenotische Diamantenhändler Jean-Baptiste Tavernier, der mit seinem in Persien erwirtschafteten Vermögen Baronie und Schloss von Aubonne im heutigen Kanton Waadt erwarb.

Obwohl die politischen wie ökonomischen Ziele hinter den zu Beginn gehegten Erwartungen zurückblieben, hinterliess der gegenseitige Austausch sowohl in der Kunst Europas wie in derjenigen Persiens nachhaltige Spuren. In der Adelsrepublik Polen-Litauen waren kostbare, gold- und silberdurchwirkte Schärpen hoch geschätzt und wurden zum festen Bestandteil der Nationaltracht. Der Doppelstaat zählte damals nicht nur zu den flächenmässig grössten europäischen Nationen, sondern nahm auch eine kulturelle Sonderstellung zwischen West und Ost ein. Da die polnischen Adeligen sich als Nachfahren der Sarmaten verstanden, eines ehemals ostiranischen Volkes, kleideten und bewaffneten sie sich im orientalischen Stil und schmückten ihre Häuser mit persischen Teppichen und Stoffen.

In den Niederlanden hingegen entdeckten die Maler – allen voran Rembrandt (1606–1669) und seine Schüler – den "Perser" als unabdingbare Figuren ihrer biblischen Historienmalerei und begeisterten sich für orientalisierende Brustbildnisse, auf denen ihre Mitbürger mit Turbanen posieren. Überhaupt übte die persische Kleidung eine dauerhafte Faszination auf europäische Künstler aus. So schufen Aegidius Sadeler d.Ä. (1560–1629), der am Hof von Kaiser Rudolf II. arbeitete, oder Richard Greenbury (tätig 1616–1650) Porträts von prächtig gekleideten Abgesandten des Isfahaner Hofs. In Frankreich ergötzten sich Maler wie Nicolas de Largillière (1656–1746) und verschiedene Kupferstecher am exotischen Auftreten des persischen Gesandten, der 1715 die Pariser Bürger wie die Höflinge in Versailles monatelang in Atem hielt.

Persische Maler ihrerseits entdeckten den europäisch gekleideten Jüngling als erotisches Bildthema. Mit derselben Begeisterung wandten sich Reza Abbasi (tätig um 1590–1635), Afzal al-Tuni (tätig zur Zeit Schah ‘Abbas II., reg. 1642–1666) oder Mohammad Qasem (gest. 1659) dem weiblichen Akt zu, den sie über Stiche kennengelernt hatten. Ihre Darstellungen reichen von unschuldiger Selbstvergessenheit bis offenherziger Wollust. Die beiden spätsafawidischen Künstler Mohammad Zaman (tätig 1649–1700) und ‘Aliqoli Jebadar (tätig 1657–1716?) entwickelten schliesslich einen neuen "fränkischen" Stil, der europäische Techniken und Themen aufgriff.

Den Abschluss dieser Entwicklung stellen grossformatige Ölgemälde dar, auf denen Mundschenkinnen, Leibwächter, Armenierinnen und Zeremonienmeister in üppigen Interieurs gezeigt werden, die mit europäischen Luxusobjekten angefüllt sind. Beide, die ganzfigurigen Bilder wie auch die Miniaturen in "europäischer" Manier sollten die persische Kunst im 18. und 19. Jahrhundert noch nachhaltig beeinflussen. Anders als im 17. Jahrhundert treffen sich heute Künstlerinnen und Künstler aus West, Ost, dem Norden und Süden regelmässig auf Biennalen rund um die Welt. Ihre Arbeiten umkreisen keineswegs zufällig das Phänomen der Globalisierung, d.h. die Dinge einander anzugleichen und folglich vergleichbar zu machen. So ist das System der Folter in der Arbeit der Künstlerin Parastou Forouhar (*1962) keineswegs iranisch, denn es leitet sich aus dem biblischen Dualismus zwischen Gut und Böse ab.

Welche unheilvolle Fenster Bildmedien in die Ereignisse in die Zukunft öffnen, zeigt Rozita Sharafjahan (*1962) in einem Film, der aus unzähligen Sequenzen alter iranischer Filme besteht, die bereits die Gewalt der Islamischen Revolution vorwegnehmen. Mit dem gleichen Thema befasst sich die Künstlerin Nazgol Ansarinia (*1979). Sie gibt Wandgemälden, die der iranische Staat in Auftrag gegeben hat, eine dreidimensionale Form. Nun dringen diese physisch in die reale Architektur ein und bringen die Abgründe der Gegenwart auf den Punkt. Auch der Künstler Farhad Fozouni (*1979) beschäftigt sich mit der staatlich verordneten Weltanschauung. In seinen Zeichnungen lässt er den eigenen Leib mit dem öffentlichen Raum verschmelzen, so dass unmögliche, unheimliche Fusionen entstehen.

Eine nochmals andere Wendung zum gleichen Thema nimmt der neue Film von Samira Eskandarfar (*1980). Er bezieht seine formale Kraft zwar aus dem historischen Melodram, doch ist er in Wahrheit ein dunkles und negatives Märchen, das aber nicht einmal mehr eine Illusion von Erlösung anbietet. Die Macht des Erzählens setzt sich auch in der Chelgis-Serie von Mandana Moghaddam (*1962) fort. Jede dieser Arbeiten verwandelt einen Volksmythos, der Frauen in einer rückwärtsgewandten Rolle abbildet, in Bilder von Gewalt und Zwang, aus denen aber Widerstand erwächst. Schliesslich beschreibt der Künstler Hamed Sahihi (*1980) den Aufstand des Intimen: die liebevoll gemalten Figuren in seinen Stop-Motion-Filmen blenden die Zumutungen der Umwelt komplett aus, damit sie existieren können.

Mit der Ausstellung rollen die beiden Kuratoren Axel Langer und Susann Wintsch das wichtige aber nahezu unbekannte Kapitel der persisch-europäischen Beziehungen auf. Gleichzeitig schlagen sie eine Brücke in die Gegenwart, denn nicht immer war das Verhältnis zu Persien/Iran so gespannt wie heute, wo Stereotype unser Bild dominieren und sich der mediale Fokus einzig auf Islam(ismus), Atompolitik und Wirtschaft konzentriert. "Sehnsucht Persien" zeigt das, was einst war und eröffnet einen spannenden Blick auf das, was ist.

Sehnsucht Persien
Kunst im europäisch-persischen Dialog
& Gegenwartskunst aus Teheran
27. September 2013 bis 12. Januar 2014