Sehnsucht nach dem sicheren Ort

Johanna Grillmayer erzählt im zweiten Band ihrer Dystopia-Trilogie, wie eine Gruppe Überlebender zehn Jahre nach dem „Ereignis“ das Zusammenleben neu organisiert. „Ein sicherer Ort“ ist die Fortsetzung ihres erfolgreichen Romandebüts „That’s life in Dystopia“.

Was bisher geschah: Auf nur einer Doppelseite erfahren wir, dass durch eine rätselhafte Katastrophe der Großteil der Menschen untergegangen ist. Eine kleine Gruppe junger Leute um die Protagonistin Jola hat in einem Weinkeller überlebt. Das „Ereignis“ wurde und wird nicht näher definiert und es hatte auch keinerlei Kontaminierung zur Folge. Es geht im ersten Teil also darum, wie sich die Gruppe an die neuen Umstände anpasst. Auf 400 Seiten wird man wohl auch die handelnden Personen besser kennengelernt haben. Zum Durchschauen wer mit wem liiert und befreundet ist, mit wem Jola inzwischen schon Kinder hat, sind diese ersten zwei Seiten mit fettgedruckten Namen essentiell, denn die Autorin legt die Fortsetzung unmittelbar an. 

Im Jahr 10 danach machen sich Jola mit kleiner Gefolgschaft auf Entdeckungsfahrt (mit Motorrädern!) nach Wien um nach Brauchbarem und vor allem nach Gesetzbüchern zu suchen. Damit ist schon angedeutet, dass es in einer zweiten Zeitebene, im Jahr 17, um die Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mit all den Konflikten gehen wird. Bis die Situation durch ein Verbrechen eskaliert, ist jedoch Geduld gefragt, vor allem bei jenen, die erst mit dem zweiten Buch in die Story einsteigen wollen. Grillmayer hat ihre Form gefunden, die Leute durcheinanderreden und handeln zu lassen, die funktioniert, bis man jedoch ein Bild vom Beziehungsgeflecht und den vielen Personen hat, muss man sich lesend auf über hundert Seiten einlassen und wird durch Zeitensprünge innerhalb der Erzählstränge (auf Herbst 13 folgt Sommer 13, auf Oktober 18 folgt Frühling 18) reichlich angestrengt. Auch die zwei kurzen „Früher“ Einschübe – nur um die seit der Schulzeit andauernde Liebe von Jola und Marek zu unterstreichen – verwirren etwas. Da sind beispielsweise die Dialoge und das Staunen über die nie gesehenen Flugzeuge von Jolas Tochter viel anregender.

Sehr spannend ist auch die Schilderung zu Beginn, wie die Erkundenden Wien vorfinden. In der Stadt sind nicht viele Menschen geblieben, denn die Ressourcen sind aufgebraucht und das Misstrauen bzw. der Überlebenswille groß. Der Michaelerplatz, das Palmenhaus, der Tiergarten Schönbrunn, die große Kathedrale mit „sechs oder sieben Kutschen, mehrere umgekippt, und an einer hingen die Überreste zweier Pferde in ihren Geschirren (?!) …“, die breite Einkaufsstraße mit Nobelmodegeschäften wo noch Kaschmirpullis zu finden sind, und welcher Brunnen mit Grünspan überzogenen Wassermännern und Nymphen auf dem ovalen Platz könnte gemeint sein? … Im Jahr 17 hat Jolas Patchwork-Familie dann doch den Sonnenhof aufgegeben und ist in ein Dorf im Burgenland gezogen, um Anschluss an eine größere Gemeinschaft zu finden. Doch ein diskriminierungsfreies, friedliches Zusammenleben nach diesem Reset-Ereignis bleibt Utopie.

Es wird Frühling 19 auf den letzten Seiten, und die sich langsam entwickelnde, sehr verschachtelte Geschichte will nicht abgeschlossen sein, es soll weitergehen … Zu wünschen ist, dass für das Eintauchen in den dritten Band – was sich allemal lohnen wird – nicht die bisherigen 800 Seiten vorausgesetzt werden.  

Johanna Grillmayer, geboren 1974 in Wien, wo sie mit ihrer Familie auch lebt. Studium der Geschichte an der Universität Wien. Arbeitet als Redakteurin beim ORF.

Ein sicherer Ort
Johanna Grillmayer
432 S., 11.5x18 cm, 
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-99014-260-8