Viele behaupten, die Schulreform sei keine Reform, sondern fauler Kompromiss und Flickwerk. Es scheint nicht nur so, es ist so. Aber es ist zugleich schlimmer. Auch wenn die kleine Reform eine Reform wäre und kein wiederaufgelegter Kompromiss, bliebe die eigentliche Bildungsfrage unangetastet. Das Fänomen der Halb- und Unbildung wird nicht reflektiert, analysiert oder gar intendiert verändert. Es verändert sich als Prozessresultat. Allerdings negativ.
Was ich als "negativ" sehe, ist aber positiv, wenn ich die herrschende Ideologie teile. Die des pragmatischen Utilitarismus. Dann wäre eine Bildungsreform, die sich nach Grundsätzen der Aufklärung, Emanzipation und Persönlichkeitsbildung richtete, fehl am Platz, weil störend, weil nicht "nutzbringend", kontraproduktiv für die höher arbeitsteilige, globalisierte Gesellschaft.
Jedenfalls ist zu bedauern, dass die Verantwortlichen nicht einmal die Courage haben, dies offen auszusprechen. Wir könnten uns X teure Scheindebatten ersparen, blöde Reförmchen, die nur den bürokratischen Umtrieben zugute kommen, der Bildung aber zunichte. Wir könnten uns peinliche Palaver ersparen und Scheinbewertungen.
Wir könnten feststellen, dass es völlig egal ist, ob ein Wissenschaftsminister als Qualifikation seine Gemeindepolitikerkarriere herzeigt. Wir könnten bestätigen, dass es kein Makel ist, die dringenden Verdachtsgründe von Plagiarismus, der dem Minister vorgeworfen wurde, nicht ausgeräumt, sondern nur verbal widersprochen zu haben. Es wäre offen bestätigt, dass er sie nicht ausräumen muss, weil es keine Rolle spielt. Auch die Managerin als Unterrichtsministerin ist höchst kompetent. Wie früher die Handarbeitslehrerin. Und das geistige Umfeld mit dem Gros der österreichischen Journalistinnen und Journalisten ist genügend für die geistige Kultur, wie sie neben den dünnen Druckwerken der zwangsfinanzierte staatliche Rundfunk auszeichnet. Es reichen die teuren Tupfer sogenannter Hochkultur.
Wir könnten die Schüler schneller "durchschleusen". Psychologen und Coaches wären schnell zur Hand, die neue Dressur, den neuen Drill, den es doch brauchen wird, umzutaufen und zu legitimieren. Sie sind jetzt ja schon im Weitesten Helfershelfer einer Antiemanzipation, der zementierenden Betreuung.
Alles deutet darauf hin, dass man Bildung im früheren Sinne nicht braucht, um "gut" leben zu können, um an der Spitze zu sein. An welcher Spitze? Des Reichtums. Die US-Amerikaner haben die besten Eliteuniversitäten, die besten Naturwissenschaftler, die meisten Nobelpreisträger, die meisten Patente. Sie beherrschen die akademische Welt. Mit einigen wenigen Instituten, mit enorm hoher Finanzleistung. Da stört es nicht, dass das amerikanische Bildungssystem eines der Unbildung ist. Es ist die Voraussetzung für die gesellschaftliche Organisation. Es beglückt die Massen, die nicht viel wissen, sondern nur funktionieren müssen.
Solange Spitzenkräfte herangezüchtet oder eingekauft werden können, läuft alles bestens. Die Europäer wollen aufholen und warfen schon vor Jahrzehnten ihr altes Bildungsideal zum Teufel. Die Umstellung dauert etwas lange. Aber sie ist im Gange. Man sieht es an den Erfolgen: wegen hoher Unbildung bessere Profite. Wo nötig, wird geschmiert (siehe High Tech Riese Siemens, ein Hort der Spezialbildung, wie unter anderem durch die firmeneigene Academy bewiesen wird!).
Die ganze Aufregung um Reformen im Schul- und Bildungsbereich ist überflüssig und "künstlich". Es käme billiger, die Dreiteilung offener zu erkennen, zu benennen und zu pflegen: Volk ("Normale", also Deppen), Volk (Halbgebildete), Elite (Spezialisten). Es ist eigentlich eine Zweiteilung, die aber freundlicher als Dreiteilung erscheint. Weil viele es nicht verkraften würden, die krude Wahrheit zu erkennen: es gibt nur oben und unten, Hammer und Amboss, Macher und Gemachte, Obertan und Untertan.
Die Aufklärung störte mit ihrem griechischen Denken, das zu Emanzipationen führte, den althergebrachten Entwicklungsprozess. Die Welt braucht das nicht. Die Mehrheit will das nicht. Die Grossen, Jesus, Mohammed, Marx, Hitler, Stalin, Freud, Orwell, Mao usw. wussten das. Es braucht Führer, Kader, Eliten. Die Massen sind schon da. Sie wollen geführt und betreut werden.
Der Fortschritt verlangt Mobilität, Flexibilität, höchste Spezialisierung. Fachwissen also. Expertise. Minuziös abgestimmt. Es braucht nicht einmal einen einheitlichen Masterplan. Es ergibt sich aus der Realität, der Sache.
Die Bildung wird nur soweit respektiert oder in Kauf genommen, als ihre Ablenkung nicht systemwidrig hinderlich wird bzw. sie selber Geschäft ist. Sobald Gebildete entsprechend ihres Bildungsstandes versuchten umzusetzen, was sie wissen oder ahnen, wird gehandelt: Betreuung, Coaching. Unbelehrbaren droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Noch Widerspänstigeren droht Verfolgung. Wie früher. Deshalb ist die Zukunft gesichert. Nach Expertenplänen.