Schrill, bunt und skurril
Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, privat und künstlerisch ein Paar, spielen mit exzentrischen Inszenierungen. Im Kunsthaus Bregenz konzipiert das Duo zwei Geschosse gemeinsam, je eines bespielen die Künstler_innen als Soloausstellung.
Bedeutende Werke der Kunstgeschichte nachzustellen und diese in den sozialen Medien zu teilen, war während des Lockdowns im Frühjahr 2020 eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Eines der berühmtesten Werke der Romantik, Das Eismeer von Caspar David Friedrich (1823/24), präsentieren Knebl/Scheirl als begehbare Bühne im Erdgeschoss des KUB: eine eisige Szene in kalten Blautönen mit Eisschollen, kristallinen Klüften und einem gekenterten Schiff, in dieser Interpretation ein kippendes Sofa, darüber Eisglaslampen, wie sie in den 1960er Jahren modern waren. Dazu Schnee und Flugblätter aus der repressiven Zeit des Vormärz. Das Gemälde Caspar David Friedrichs war lange Zeit fälschlich als Die gescheiterte Hoffnung betitelt worden. Für Knebl/Scheirl erinnert diese Phase der Geschichte an die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen während des Lockdowns. "Aufgerüttelt durch eine apokalyptische Realität muss die Gesellschaft neue Utopien erfinden", erklären die Künstler_innen.
Das zweite Obergeschoss ist ein dunkler Hexensabbat, eine Szene wie aus dem Märchenbuch: ein Hexenhaus, dunkle Tannen und zwei Hexen, die über der schaurig-komischen Szenerie schrullige Kreise ziehen. Die Hexe kennt viele Zuschreibungen – als linkische Gefährtin, böse Drahtzieherin im Märchen, als Opfer der Hexenverfolgungen, als widerständige Figur der weiblichen Selbstermächtigung und als Objekt des NS-Forschungsprojekts einer Hexen-kartothek Heinrich Himmlers. Sie ist ein Angelpunkt multipler Identitätsvereinnahmungen.
Konkret (Jakob Lena Knebl) im ersten Geschoss
Im ersten Geschoss zeigt Jakob Lena Knebl riesenhafte Strumpfblumen sind zu sehen, ein überdimensionaler Setzkasten, Lampen und Tapeten, die brutalistische Architektur zeigen. In Bregenz setzt Jakob Lena Knebl ihre "Begehrensräume" fort. Knebl durchsucht Sammlungen, verändert und kombiniert historische Design- und Ausstellungsstücke und lässt sie mit eigenen Arbeiten in einen Dialog treten. Dinge und Figuren werden, mit Accessoires versehen, neu zusammengestellt und arrangiert. Es entstehen "thematische Cluster", in denen Objekte wie Puppen aktiviert, durch bizarre Selbstporträts humorvoll vereinnahmt und durch Kostümierung belebt werden. Unterschiedliche Stile und Genres werden dabei zu "co-agents" unserer Identitäten. Neue Bedeutungen tun sich auf. Häufig ist in die Ikonografie humorvoll ein Fetisch eingewoben oder die Anspielung auf libidinösen Appetit.
Das Labor (Ashley Hans Scheirl) im dritten Geschoss
"Wenn eine_r auch noch das letzte der steilen, beengenden Stiegenhäuser erklommen hat, verstellt erst einmal ein überlanger Duschvorhang den Blick. Geht es in einen Operationssaal? Wer wird hier operiert? Es sind übergroße Zeichnungen, exzessive Strichobjekte, die, in Formen geschnitten, auf Metallbeinen posieren und zu Co-Akteur_innen im Raum werden", so Ashley Hans Scheirl. Zerpflückte Körper und Münder tauchen auf, lange Beine, Reproduktionsorgane, Cyborgfantasien und sich blähende Genitalien. Scheirl wurde als Filmemacher_in und Performer_in bekannt. Selbstbild und bewegte Bilder bleiben im "Labor" des KUB noch spürbar. Die Malerei, die in den letzten Jahren in Scheirls Schaffen vorherrschend war, findet sich nur mehr angedeutet. Die "Körper- + Selbstteile fügen sich nicht zu einem klar umrissenen kontinuierlichen Ganzen", erläutert Scheirl, "Sie bleiben beweglich, um mit anderen Körper- + Selbstteilen kommunizieren zu können." Es geht um sexuellen Andrang und gesellschaftliche Verdrängung, um erotische Visionen im polysexuellen Kontinuum, um ein stets veränderliches Geschlecht, ein "bio-tecno interface" und nicht zuletzt um entfesselte, faszinierende Energie: "transmedium, transgenre, transgender".
Jakob Lena Knebl (geboren 1970 in Baden bei Wien) lebt in Wien und arbeitet dort als Senior Artist an der Akademie der bildenden Künste. Ihre jüngsten Einzelausstellungen waren u. a. im Kunstmuseum Lentos in Linz (2020), in der Belmazc Gallery in London (2019) und im Mumok Wien (2017) zu sehen. Sie nahm an internationalen Gruppenaus-stellungen teil, so etwa zusammen mit Ashley Hans Scheirl an der Biennale von Lyon (2019). Zuletzt verwirklichte Knebl verstärkt Projekte im öffentlichen Raum.
Ashley Hans Scheirl (geboren 1956 in Salzburg) zählt zu den Vorreiter_innen der internationalen Queer- und Trans-gender-Szene. Mitte der 1990er Jahre agierte die Künst-ler_in unter der männlichen Identität "Hans Scheirl", heute ist sie als "Ashley Hans Scheirl" aktiv. Nach Jahren in New York und London lebt und arbeitet er in Wien, wo sie die Professur für Kontextuelle Malerei an der Akademie der bildenden Künste innehat. 2017 war Scheirl auf der documenta 14 in Kassel und Athen vertreten, 2019 erhielt er den Österreichischen Kunstpreis für Bildende Kunst.
Seit 2018 entwickeln Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl gemeinsame Projekte. 2019 verhüllten sie den Wiener Rathausturm, 2022 wird das Künstler_innenduo den österreichischen Pavillon der Biennale von Venedig bespielen.
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl
Seasonal Greetings
12. Dezember 2020 bis 14. März 2021
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