Schrift-Bild. Die Werke Imre Reiners

Ist Ihnen beim Lesen eines Textes je aufgefallen, dass Buchstaben eigentlich geheimnisvolle und bedeutsame Zeichen sind? Schriftzeichen sind symbolische Bilder mit grossem, gestalterischem Potential. In einem begrenzten Rahmen sind sie veränderbar und können durch ihr Design entscheidend Einfluss auf den Inhalt und die Atmosphäre des Gelesenen nehmen.

Die monographische Ausstellung soll Imre Reiners (1900-1987) graphisch umgesetzte Erfahrungen zu diesem Phänomen versammeln. Sie bietet die Gelegenheit Schriftzeichen fern aller Textbedeutung zu erfassen und ihr gestalterisches Potential zu erkunden. Der ungarisch-schweizerische Künstler und Typograph kommt bereits während seiner Jugend im ehemaligen Österreich-Ungarn mit der Schriftgestaltung in Kontakt, als er Namenszüge in Grabsteine gravierte. Nach dem ersten Weltkrieg, während seiner Ausbildung zum Graphiker in Stuttgart, gestaltet er seine ersten Schriften. Vertrieben von der antisemitischen Stimmung in Deutschland findet Imre Reiner zu Beginn der 1930er Jahre im Tessin eine Wahlheimat. Bis zu seiner vollständigen Erblindung 1982 arbeitet er dort unermüdlich an seinem umfangreichen Werk. Dieses umfasst nicht nur Graphik, sondern auch Malerei, Buchgestaltung (Typographie) und theoretische Abhandlungen.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Briefe und Bücher, in denen Imre Reiner Illustrationen in das Schriftbild einbettet, so dass zwei scheinbar wesensfremde Elemente auf selbstverständliche und kunstvolle Art verschmelzen. Seine Untersuchungen zu den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Alphabets stellen einen weiteren zentralen Aspekt in seinem Schaffen dar. Mit Hilfe unzähliger farbiger Variationen reduziert er den Buchstaben auf seine bildhafte, abstrahierte Form und rückt damit seine Bedeutung in den Hintergrund. In seinen kunstfertigen Holzstichen und experimentellen Radierungen integriert er häufig Fragmente von Schriftzeichen als konstruktive Elemente, so dass figurative oder auch abstrakte Darstellungen in feinen Abstufungen zwischen Schwarz und Weiss entstehen.

Auf seiner Suche nach Gemeinsamkeiten von Bild und Schrift stösst Imre Reiner in seinen Werken auf die bewegte Linie. Diese entwickelt in Verbindung zur Fläche eine starke Spannung, gleichzeitig suggeriert sie Bewegung und Tiefenräumlichkeit. Darüber hinaus verknüpfen die Buchstaben im Bild die Arbeiten mit einer inhaltlichen Begriffsebene. Beim Betrachten der Werke schwanken wir daher zwischen dem Erfassen von Text und dem Bilder-Schauen. Schliesslich staunen wir über das verborgene Potential dieser kaum beachteten Bildwelt.

Schrift-Bild. Die Werke Imre Reiners
25. April bis 22. Juni 2012