Aus Vivaldis Musik und den Texten von Ovid hat Regisseur Barrie Kosky sein „Hotel Metamorphosis“ gewoben. Herausgekommen ist ein Pasticcio, das vergessene Kompositionen ganz neu vermittelt und mit den Mythen Ovids eindrücklich, aber auch sehr unterhaltsam in Szene setzt. Der kongeniale Partner für das Uraufführungserlebnis ist Dirigent Gianluca Capuano.
Pasticcio ist ein musikalisches Werk, das aus bereits bestehenden Kompositionen und Texten ganz neu zu einem eigenständigen, kreativen Ganzen zusammengestellt wird. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war diese Art von Opern und Oratorien vor allem in Italien beliebt. Für die Salzburger Pfingstfestspiele kreiert nun das Projekt „Hotel Metamorphosis“ eine komplett neue Geschichte. „Diese Kombination von Vivaldi Arien und Sätzen aus seinen Symphonien und Konzerten mit Ovids Texten ist wie Stricken. Wir weben zwei Fäden zusammen, die zwar unterschiedlich sind, sich aber sehr schön reflektieren und ergänzen“, sagt Barrie Kosky, der sich als Regisseur ja sonst immer auf die großen, fertigen Opern einlassen muss. Er empfindet das Pasticcio – in diesem Fall aus 500 angehörten Musikstücken – als Herausforderung und gleichzeitiges Vergnügen, denn „so können dem Publikum ein Meisterstück nach dem anderen beschert werden“.
Mit Dramaturg Olaf A. Schmitt sei schon früh im Arbeitsprozess klar gewesen, dass dieses Vivaldi-Pasticcio Geschichten aus Ovids Metamorphosen (circa 8 n. Chr.) erzählen soll. „Ovids Metamorphosen gleichen einem Lexikon der Emotionen. Die Geschichten drehen sich nicht nur um die Verwandlung des menschlichen Körpers in etwas anderes, in einen Baum, einen Vogel, in Wasser. Sie enthalten ein außergewöhnliches Spektrum, ein Panoptikum menschlicher Gefühle … Wut, Rache, Freude, Besessenheit.“ Was sich durchzieht, seien die großen Themen von Einsamkeit und Melancholie, und wo kann es einsamer sein, als in einem sterilen, anonymen Hotelzimmer. Dieses Ambiente wird also zum immer wieder neuen Ausgangspunkt der fünf ausgewählten Episoden (das Gesamtwerk umfasst 250!) in zeitgemäßer deutscher Prosa-Übersetzung, „aber wir aktualisieren oder adaptieren Ovid nicht. Ich wollte die Klarheit seiner Erzählungen Vivaldis Musik gegenüberstellen“, sagt der Regisseur.
Cecilia Bartoli, die Intendantin der Pfingstfestspiele, hat für diese Hommage an den Opernkomponisten Vivaldi ein fantastisches Ensemble zusammengestellt. Einerseits dirigiert Gianluca Capuano – ein Vivaldi-Experte und seit vielen Jahren regelmäßig in Salzburg zu Gast – Les Musiciens du Prince Monaco, auf historischen Instrumenten spielende Musiker:innen, bei denen Bartoli ebenfalls künstlerische Leiterin ist; dieser kommt wieder mit seinem hervorragenden Vokalensemble „Il Canto di Orfeo“ (siehe auch Orfeo ed Euridice, 2023); außerdem singt und gestaltet Cecilia Bartoli selbst zwei der Figuren mit großer Intensität.
Im Prolog wird der Rahmen aufgespannt: Orpheus muss erkennen, dass er seine Eurydice nicht im Leben behalten kann und bleibt als Erzähler weiterhin präsent. Nicht als Rezitativ, sondern mit gesprochenen Texten werden die zweitausend Jahre alten Gestalten der antiken Mythologie heraufbeschworen. Schauspielerin Angela Winkler (geb. 1944) macht dies mit hellem, kindlich anmutendem Ton, bleibt fragend, unsicher, mit eigenartigem Reiz. Cecilia Bartoli ist in der ersten Szene die trauernde Eurydike. Sie ist mit ihrer unverwechselbaren Stimme gewiss eine der ganz Großen, so ausdrucksvoll, nuancenreich und präsent. Als schrille Web-Designerin Arachne kehrt sie in das Hotelzimmer zurück und fordert Göttin Minerva heraus. Die fulminante russisch-schweizerische Mezzosopranistin Nadeshda Karyazina hält dagegen, und in ihrer Rolle bestraft sie Aranche, die für immer Spinne bleiben wird. Karyazina überzeugt dann auch als Juno, wenn das Schicksal von Narziss und Echo besiegelt wird. Der junge Mann endet in seiner hingebungsvollen Selbstliebe als Blume, und die Nymphe bleibt nur noch als Stimme ewiglich.
Philippe Jaroussky, einer der führenden Countertenöre, begegnet uns als Pygmalion wieder, und die französisch-italienische Mezzosopranistin Lea Desandre – als Echo so erfreulich, mitreißend quirlig und witzig – als seine Statue, die durch Göttergnade lebendig wird. Noch einmal können wir Lea Desandre als Myrrha erleben, wo sie schwanger, nach dem von ihr provozierten Inzest mit dem Vater so ergreifend „Scenderò, volerò, grideò“ singt und die Gestalt eines Baumes annimmt. (Ein erster Regie-Fauxpas passiert hier am Ende des ersten Akts: Die Schwangere wird in den Unterbaukühlschrank gezogen, um als horizontaler Nadelbaum wieder herausgeschoben zu werden …!)
Das Bühnenbild insgesamt ist vielschichtig und klug gelöst. Auch wenn es immer nur ein klassisches Hotelzimmer bleibt, finden ständig faszinierende Verwandlungen statt. Kunstreiche Videoprojektionen verfremden dieses, das zentrale Bett lässt die Figuren plötzlich verschwinden und andere wiederum erscheinen, die Perspektive ändert sich, mal ist es nah, dann wieder fern, gibt Raum für die Intermezzi von Tänzer:innen und Chor in jeweils aufwändigen Kostümen, es hebt sich sogar, bleibt abstrakter Raum, um die Unterwelt freizugeben. Das Ende ist wieder der trauernden Eurydice vorbehalten, Orpheus wurde von den Bacchantinnen grausam ermordet … überirdisch schöne Musik, ergreifender Gesang der Bartoli, die Totenmasken der schwarzen, wogenden Figuren … ein stimmiges Gesamtbild. (Doch warum das Salome-Zitat?! warum muss Eurydice diese letzten innigen Minuten mit dem abgeschlagenen Kopf, der Orpheus gehört und Angela Winkler abbildet (!!) immer wieder die Bühne queren?! … wie befremdlich und daneben!)
Hotel Metamorphosis wird bei den Salzburger Festspielen diesen Sommer wieder am Spielplan stehen und darf noch einmal als außergewöhnliches (insgesamt vierstündiges) Vivaldi-Opernereignis gefeiert werden. Das Publikum dankte euphorisch, es war fantastisch!
Hotel Metamorphosis
Vivaldi / Ovid
Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi in zwei Akten
Texte von Ovid in der Übersetzung von Hermann Heiser
Fassung von Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt
Gianluca Capuano, Musikalische Leitung
Barrie Kosky, Regie und Konzept
Otto Pichler, Choreografie
Michael Levine, Bühne; Klaus Bruns, Kostüme
Franck Evin, Licht; rocafilm Video
Olaf A. Schmitt, Konzept und Dramaturgie
Cecilia Bartoli, Eurydice / Arachne
Lea Desandre, Statua / Myrrha / Echo
Nadezhda Karyazina, Minerva / Nutrice / Juno
Philippe Jaroussky, Pygmalion / Narcissus
Angela Winkler, Orpheus / Erzählerin
Il Canto di Orfeo
Les Musiciens du Prince — Monaco