Schnitte im Raum

Wie lässt sich das "Prinzip Collage" ins Dreidimensionale erweitern? Die acht beteiligten Künstlerinnen und Künstler verwenden für ihre Skulpturen und Installationen vorgefundene oder vorgefertigte Bruchstücke und fügen diese neu zusammen. Sie entwickeln Verfahrensweisen der Kombination und Überlagerung, der Konfrontation und Transformation, der Montage und Assemblage und setzen die unterschiedlichen Bestandteile ihrer Arbeiten in einen vieldeutigen Dialog miteinander und mit dem umgebenden Raum.

Bereits im Umfeld des Kubismus wurden Praxis und Begriff der Collage von den ersten Klebebildern (papiers collés) in Richtung Objektkunst und Skulptur ausgeweitet. Als Sammelbezeichnung meint "Collage" seither nicht nur einzelne Techniken wie das Schneiden, Reißen oder Kleben, sondern vielmehr ein grundlegendes Gestaltungsprinzip. Indem sie disparate Materialien miteinander koppelt, macht die Collage das Heterogene, eine semantische oder stilistische Gebrochenheit zum ästhetischen Parameter. Durch den inhaltlichen und formalen Bruch mit der Kontinuität des Bildes wird die Collage zu einer Form der Skepsis, der Hinterfragung des herkömmlichen Bildbegriffs, zum vielseitig verwendbaren Mittel des Ausstellens von Gegensätzen und Widersprüchen, die ihren eigenen, schwer kalkulierbaren Reiz entfalten.

Worin liegt also die von Lautréamont suggerierte Schönheit eines "Zusammentreffen(s) einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch", worin der ästhetische oder inhaltliche Mehrwert heutiger skulpturaler Collagen? Seit ihrer Frühzeit als experimentelles Medium der Avantgarden wird die Collage als Strategie der "systematische(n) Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten" angewendet – mit dem Ziel, einen "Funke(n) Poesie" zu schlagen, "welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt" (Max Ernst, 1962). Diese Poesie der Collage ist eine der Selbstgespräche, in denen sich das Kunstwerk, genauer: seine heterogenen Bestandteile wechselseitig Rede und Antwort stehen und damit ihre Herkunft und vormalige Bedeutung sowie unsere Wahrnehmung davon in Frage stellen.

Heutige Erweiterungen des klassischen Collage-Konzeptes erweisen sich als Wanderungen zwischen den Bildgattungen und Medien, moderner Abstraktion und postmodernem Materialbezug. Die Unterschiedlichkeit der vorgestellten künstlerischen Positionen belegt die Wandelbarkeit und Aktualität der Collage: Das Spektrum reicht von der surrealen Anziehungskraft der zu hybriden misfits (Außenseitern) präparierten Tierkörper von Thomas Grünfeld über Jessica Stockholders und Max Frisingers malerische Raumbilder zu den Collagen von Tom Burr, der Versatzstücke der Minimal Art mit metaphorisch aufgeladenen Objekten konfrontiert; von Björn Brauns Metamorphosen, in denen ein Vogelnest zum Eierkarton und zwei Zebrafinken zu Künstlern mutieren, über Thorsten Brinkmanns performative Raumcollagen bis zu Rachel Harrisons und Scott Lyalls kollaborativen Settings, die so präzise wie psychedelisch aufgelöst erscheinen.

Mit Arbeiten von Björn Braun, Thorsten Brinkmann, Tom Burr, Max Frisinger, Thomas Grünfeld, Rachel Harrison & Scott Lyall und Jessica Stockholder.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Kerber Verlag mit einem Vorwort von Markus Heinzelmann und wissenschaftlichen Essays von Fritz Emslander und Vanessa Joan Müller (ca. 112 Seiten, ca. 100 Farbabb.; EUR 25,- an der Museumskasse, ca. EUR 35,- im Buchhandel).

Schnitte im Raum
Skulpturale Collagen
19. Juni bis 21. August 2011