Schaubilder

Der Bielefelder Kunstverein präsentiert vom 10. November 2012 bis 27. Januar 2013 die thematische Gruppenausstellung "Schaubilder". Gerade vor dem Hintergrund einer wachsenden Fülle von digitalen Daten und einer im Zuge der Globalisierung komplexer werdenden Welt, gewinnen Informationsgrafiken heute in allen Bereichen zunehmend an Bedeutung. Die Ausstellung fragt nach den aktuellen Auswirkungen dieser skizzierten Entwicklungen auf die Bildwelten und Visualisierungsstrategien in der Kunst.

Für die Ausstellung wurden Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, die mit verschiedenen Anschauungsmodellen und Formen der Präsentation vertreten sind. Präsentiert werden zahlreiche Neuproduktionen darunter Zeichnungen, Collagen, Fotografien und Videos, aber auch raumgreifende Objekte und Installationen. Die im Kunstverein ausgestellten Arbeiten lassen Bezüge zu Diagrammen, Kartografien, Notationen und anderen grafischen Modellen sichtbar werden.

Schaubilder werden im Internet, im Fernsehen, in Zeitungen, Präsentationen – kurzum in allen visuellen Medien eingesetzt. Je nach Verwendungskontext werden häufig Text, Bild- und Diagramm-Elemente kombiniert. Ihre Funktion liegt darin komplexe Sachverhalte, Daten und Informationen durch eine visuelle Darstellung zu veranschaulichen. Dabei dienen Diagramme, Börsenkurven oder Schemazeichnungen nicht nur der Veranschaulichung, sondern sie stellen Beziehungen her, vermitteln Einsichten und liefern bildliche Argumente. Eine wesentliche Aufgabe ist die Darstellung, Ordnung und Vermittlung von Wissen. In einer vernetzten Gesellschaft in der das Bild zu einem Leitmedium geworden ist und tagtäglich neue Informationen produziert werden, ist das Bedürfnis nach visuellen Übersetzungen und einer sichtbaren Ordnung mehr als nachvollziehbar.

Diagramme sind im Bereich der Kunst kein völlig neues Phänomen, doch lässt sich in den letzten zehn Jahren ein wachsendes Interesse an diesem Bildtypus beobachten. Unter dem Begriff der Diagrammatik hat sich ein neues Forschungsfeld entwickelt. Gründe dafür liegen in der Annäherung von Kunst und Wissenschaft, der fortschreitenden Entwicklung eines erweiterten Bildbegriffs, in der Auseinandersetzung mit abstrakten Darstellungsformen der Kunstgeschichte und der Anerkennung des Diagramms als theoriebildendes Analyseinstrument. Diagramme werden nicht mehr nur als Illustration verstanden, sondern als eigenständige, visuelle Form untersucht. Im Miteinander von Bild, Schrift und einer räumlich-grafischen Anordnung wird eine Form des anschaulichen Denkens ermöglicht, das ein ganz eigenes Erkenntnispotential liefert.

Dementsprechend schafft Ruth Buchanan (*1980 in New Plymouth) mit ihrer Installation "No Solitary Beat" (2012), bildlichen, textuellen und klanglichen Elementen einen schematischen Anschauungs- und Reflexionsraum menschlicher Wahrnehmung. Die Basis dafür bildet ein Script der Künstlerin. Der Informatiker und Systemanalytiker Gerhard Dirmoser (*1958 in Freistadt, Österreich) versammelt in seinem Diagramm "Ästhetik als emotionale Wirksamkeit" (2007-2012) Eigenschaftsworte kunsthistorischer und philosophischer Fachliteratur zum Thema "Ästhetik". Nikolaus Gansterer (*1974 in Klosterneuburg, Österreich) entwickelt in Form einer Tisch- und Wandinstallation "Drawing a Hypothesis" (2012) aus Artefakten, Zeichnungen, eigenen Diagrammen und Fotos einen diagrammatischen Blick auf die Bildende Kunst, Wissenschaft und Theorie.

Das Video "Über Erzähler" (2011) von Philipp Hamann (*1984 in Bayreuth) reflektiert die Bedeutung des Erzählers und des Erzählens selbst. Die Bildgeschichte gerät dabei zum eigenen Erkenntnisverfahren im Akt des Erzählens. Luis Jacob (*1971 in Lima, Peru) zeigt erstmals die Arbeit "Manual" (2009-2012), die dem gestalterischen Prinzip des Albums folgt und menschliche Körper in Beziehung zu Architekturen, Skulpturen oder Objekten setzt. Mit der Wandarbeit "Reeducation machine" (2012), bestehend aus einem Regalsystem, Objekten, Zeichnungen und Collagen, setzt Eva Kotátková (*1982 in Prag, Tschechien) ihre künstlerischen Untersuchungen zu Kommunikationsmustern, Methoden der Didaktik, sozialen Normen und ihren Mechanismen fort. Michael Najjar (*1966 in Landau) hat für die fotografische Werkgruppe "High Altitude" die Aktienindizes in die Materialität und Massivität der argentinischen Gebirgszüge übersetzt. Die Bilder zeigen die Börsenentwicklung der weltweit wichtigsten Märkte über die letzten 20 bis 30 Jahre.

Die Collage "Assembly Instructions (The Power of 100)" von Alexandre Singh (*1980 in Bordeaux, Frankreich) entstand auf Einladung des Magazins Art Review und illustrierte die Titelgeschichte "Power 100" der November-Ausgabe 2010, einem jährlichen Ranking der einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstwelt. Marcus Steinweg (*1971 in Koblenz) entwickelt seit einiger Zeit eigenständig Diagramme. Sie bestehen aus eigenen Texten, philosophischen Themen und sprachlichen Begriffen anderer Philosophen, die auf Papier collagiert und mittels einfachen Linien verbunden werden. Jorinde Voigt (*1977 in Frankfurt am Main) aktuelle Collagen "Views on Views on Decameron" (2012) öffnen einen zeitgenössischen Blick auf Malereien und Buchillustrationen zu Giovanni Boccaccios Novellen-Sammlung "Decameron" aus dem 14. Jahrhundert, welche die Kultur nachhaltig beeinflusst hat.

Neben der ästhetischen Wirkung und dem gestalterischen Aspekt von Schaubildern spielt in der Ausstellung ihre Funktion in der Vermittlung künstlerischer Werk- und Denkprozesse im Medium der Ausstellung eine wesentliche Rolle. Die formale Struktur der Schaubilder dient den Künstlerinnen und Künstlern als Ausgangspunkt für bildbasierte Ordnungen und Erzählungen. Ihre eigentliche Funktion – eine unmittelbare Visualisierung von Informationen - wird meist zugunsten einer eigenen, offenen Erkenntnisform unterlaufen.

Schaubilder
10. November 2012 bis 27. Januar 2013