29. Januar 2020 - 7:16 / Rosemarie Schmitt / Musikuß

Eine der bittersten Nachrichten, die die Musikwelt 2019 erschütterte, war der Tod des Dirigenten Mariss Jansons. Nun erscheint als erstes Album nach dem Tod des Maestros Jansons Live-Mitschnitt von Rodion Schtschedrins "Carmen-Suite" und Ottorino Respighis "Pini di Roma" (BR-Klassik / Naxos Deutschland)

Maja Plissezkaja wusste und sagte immer, was sie wollte. Und sie wollte nach Bizets Oper Carmen tanzen! Da sowohl Schostakowich, als auch Chatschaturjan es ablehnten, ihr ein Carmen-Ballett auf den perfekt trainierten Leib zu schneidern, nahm sich ihr Ehemann Rodion des Wunsches an. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Viel zu großen Respekt hatte er vor der Komposition des Franzosen Bizet. Dieser Stoff sei einfach untrennbar mit der Musik von Bizet verwachsen, sagte er. Doch der heute 87-jährige Rodion Schtschedrin, fand einen Weg. Seinen Weg!

Ich gestehe, dass ich Bizets Carmen nicht sonderlich mag. Für mich gehört sie zu den Musicals unter den Opern. Vielleicht wurden Melodien daraus zu oft missbraucht und mir "um die Ohren gehauen". Doch was Schtschedrin aus dieser Musik zauberte, gehört für mich gehört. Immer und immer wieder.

Mariss Jansons hatte Schtschedrins Carmen-Suite zu dessen 85. Geburtstag 2017 auf das Programm eines Benefizkonzertes zu Gunsten des SZ-Adventskalenders gebracht. Schtschedrins Carmen-Suite. Scheinbar vertraut. Voller Überraschungen!

Es ist die Orchesterbesetzung, die schließlich aus der "alten" Carmen ein fulminantes, höchst emotionales Erlebnis macht. Schtschedrin spielt dem Werk einen Streich. Einen Riesenstreich! Denn Streicher und eine 47 Mann starke "Schlägergruppe" liefern sich mit Pauken, ohne Trompeten, ein musikalisches Feuerwerk. Schtschedrin arbeitet mit sanften Streichereinheiten und der Schlagfertigkeit der Musiker. Er wandelt, verschiebt, phrasiert, irritiert, überrascht subtil und auch direkt, rhythmisch spannend, emotional geladen, musikalisch einzigartig.

Im finalen Allegro-Satz, dem längsten der 13 Sätze, können Sie all dies hören, was zu beschreiben ich versuche.

Diese scheinbare Marimba-Leichtigkeit, jene Streicher, die Böses ahnen, die Glocken, die in der letzten Minute ...

Der Schlussapplaus erst macht mir bewusst, dass es sich bei dieser Einspielung um eine Live-Aufnahme handelt. Brillant!

Musikalisch emotional über die Maßen zufrieden und wohlig gesättigt möchte ich dieses Erlebnis in mir nachklingen lassen. Möchte grad nichts anderes mehr hören. Auch nichts von Roms Pinien.

Obschon auch das zweite Werk dieser CD, Respighis "Pini di Roma" von Mariss Jansons und dem Orchester des Bayerischen Rundfunks herausragend dargeboten wird. Und gerade deshalb eines gesonderten Berichtes bedarf.

Was Schtschedrins Carmen-Suite betrifft, so verhielt es sich so, dass diese bei der Uraufführung im April 1967 am Moskauer Bolschoi-Theater mit Pauken und ohne Trompeten durchfiel. Die damalige sowjetische Kulturministerin Furzewa (deren Namen ich, offen gesagt, peinlicher finde, als die offenbar zu erotische Darstellung der Plissezkaja!), nun, Frau Furzewas Vorhersage "Ihre Carmen wird sterben!" bewahrheitete sich jedenfalls nicht!

"Carmen stirbt, wenn ich sterbe!", konterte die großartige Maja Plissezkaja. Prima, Ballerina!!

Sie starb im Mai 2015 an den Folgen eines Herzinfarktes. Ein Herz das für die Musik, den Tanz und für ihren Mann Rodion Schtschedrin schlug, mit dem sie seit 1958 verheiratet war. Sie tanzte etwa 350 Aufführungen der Carmen-Suite. Eine davon im Jahre 1990. Plissezkaja war damals 65 Jahre!

Doch was nutzt die beste Musik ohne jene, die imstande sind, das Komponierte zu interpretieren? Für Schtschedrins Carmen-Suite kann ich mir keine Besseren vorstellen als Mariss Jansons und seine Musiker. Ebenso liebevoll wie dynamisch dirigiert Jansons hochemotional »sein« Symphonieorchester, dass eigentlich das des Bayerischen Rundfunks ist.

Ich bin dankbar, für die Aufnahmen, die er uns in der Vergangenheit schenkte. Doch für die Zukunft gilt: Mariss Jansons fehlt.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt



Cover "Pini di Roma" (BR-Klassik / Naxos Deutschland)
Cover "Pini di Roma" (BR-Klassik / Naxos Deutschland)
Mariss Jansons
Mariss Jansons
Das Orchester des Bayerischen Rundfunks in der Besetzung für die Carmen-Suite
Das Orchester des Bayerischen Rundfunks in der Besetzung für die Carmen-Suite