Sammlung Goetz zeigt Matthew Barney

Vom 5. November 07 bis 29. März 2008 zeigt die Sammlung Goetz in München zahlreiche Einzelarbeiten und umfassende Werkserien des Künstlers Matthew Barney. Nach einer Gruppenausstellung im Jahr 1996, in der Barney zusammen mit Tony Oursler und Jeff Wall gezeigt wurde, ist es das zweite Mal, dass der Künstler ausgestellt wird. Auf das gesamte Museum verteilt, zeigt die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler realisierte Ausstellung die große Bandbreite seines Œuvres aus den Jahren 1992-2006.

Das Zentrum der Ausstellung bilden die zu einer Raum-Klang-Skulptur zusammengefassten fünf Teile des Cremaster-Zyklus. In einer Haltevorrichtung von der Decke hängend, sind alle Filme auf Flachbildschirmen parallel zu sehen und zu hören. Darunter sind die entsprechenden Vitrinen platziert. Barneys neuester Film "Drawing Restraint 9" (2006) wird in einer kinoähnlichen Situation in Base 103 gezeigt. In den übrigen Räumen der Sammlung Goetz stellt Barney – der hochkomplexen Verschränkung seines Gesamtwerks entsprechend – inhaltliche und formale Verbindungen durch Gegenüberstellungen und Ergänzungen zwischen Einzelwerken und Werkgruppen her. Als Bindeglieder dienen dem Künstler die sieben Fotos der Serie Envelopa: Drawing Restraint 7 (Guillotine) (1993), die als roter Faden in allen Räumen des Museums verteilt hängen. Diese Arbeit kann sowohl als Vorstufe zum Cremaster-Zyklus angesehen werden und gilt gleichzeitig als Übergangswerk innerhalb der Drawing Restraint-Gruppe, die den erzählerischen Film "Drawing Restraint 9" erst ermöglicht.

Bereits 1987 begann er mit der bis heute andauernden Arbeit an der Serie Drawing Restraint, die genau wie seine universitäre Abschlussarbeit Field Dressing (1989) die beiden Themen, die bisher im Mittelpunkt seiner Biografie standen, zu einem Konzept zusammenführt: der Körper des Sportlers als Skulptur und der Fetischcharakter von Sportgeräten. In seinen ersten Einzelausstellungen (1991) präsentierte Barney Installationen mit Skulpturen und Videos, die zeigten, wie er in Interaktion mit verschiedenen Konstruktionen und Objekten körperliche Leistung vollbringt.

1994 begann der Künstler die Arbeit an seinem monumentalen Cremaster-Zyklus, einem fünfteiligen Filmprojekt mit sehr wenigen Dialogen, das von Skulpturen, Fotografien und Zeichnungen ergänzt wird. Der Cremaster-Zyklus stellt hochkomplexe Handlungsebenen dar, in denen sich historische und mystische Ereignisse mit architektonischen Vorstellungen und biologischen Modellen verbinden. Die Ausstattung der Filme variiert je nach Drehort und der dargestellten Zeitspanne, wobei Barney immer wieder spezifische Stilmerkmale einer Epoche oder eines Ereignisses, wie Tanzrevuen der 1930er und 1940er Jahre in Cremaster 1 (1995/96), Rodeos amerikanischer Cowboys in der Salzwüste Utahs in Cremaster 2 (1999), die Architektur des Art Déco in Cremaster 3 (2002), das traditionelle Motorradrennen Tourist Trophy auf der Isle of Man in Cremaster 4 (1994/95) oder Barockoper in Cremaster 5 (1997) als visuelle Leitmotive für die Erzählung nutzt.

Jeder Film kann seiner Form nach als eigenständiges Kunstwerk bestehen und bildet gleichzeitig mit den anderen Teilen ein geschlossenes System. Ausgehend von dem Kremasterreflex beziehungsweise dem Kremastermuskel, der in Abhängigkeit von äußeren Reizen Kontraktionen im Hoden bewirkt, nimmt der Zyklus anatomisch Bezug auf die Anhebung der Geschlechtsdrüsen während der sexuellen Bestimmung des Embryos. Dabei stellt Cremaster 1 den "aufgestiegensten", Cremaster 5 den "abgestiegensten" Zustand dar. Im Verlauf der Produktion des Zyklus rückten neben dem biologischen Modell zunehmend biografische, geografische sowie geschichtliche Motive in den Vordergrund. Die Entstehungsfolge lässt einen eindeutigen Einstieg in den Zyklus nicht erkennen, sondern verweist vielmehr auf die Absicht des Künstlers, im Sinne der grundlegenden Idee des biologischen Modells eine Schleife zu generieren.

Barney schrieb nicht nur das Drehbuch und führte Regie für den Cremaster-Zyklus, sondern trat auch immer in einer der Hauptrollen selbst auf. Außerdem ließ er bekannte Personen, wie den Schriftsteller Norman Mailer, den Künstler Richard Serra oder die Schauspielerin Ursula Andress als Darsteller auftreten. Die in Zusammenhang mit diesem Filmzyklus entstanden Filmstills, Objekte und Filmrequisiten ergänzen die Präsentation der Filme in der Sammlung Goetz.

Drawing Restraint 9 spielt auf dem japanischen Walfangschiff Nisshin Maru. Der Soundtrack zu diesem Film ist eine Kooperation von Barney und seiner Lebensgefährtin, der isländischen Musikerin Björk, die gleichzeitig eine Hauptrolle im Film übernommen hat. Der Film beginnt mit einer Prozession in einem japanischen Hafenort: dort wird ein Tanklastzug gefüllt mit heißer Vaseline von Ochsen, Pferden und Wildschweinen zum Schiff begleitet und von Hunderten Schaulustiger umringt. Die Vaseline wird anschließend in eine massive, offene Gussform auf dem Deck des Schiffs gepumpt und kühlt über Wochen auf dem Weg zur Antarktis ab. Mit Werkzeugen und Arbeitsmethoden, die bei der Zerlegung von Walen angewandt werden, entsteht langsam in der Gussform eine Skulptur, die ihre Gestalt mehrfach ändert. Der Höhepunkt des Films besteht darin, die Gussform bei der Ankunft im Südpolarmeer vor dem Hintergrund von Eisbergen zu entfernen. Parallel zu dieser Entstehung eines Kunstwerks, entwickelt sich unter Deck eine Liebesgeschichte – in den Hauptrollen Barney und Björk – die an die strikten choreografischen Regeln japanischer Teezeremonien angelehnt ist. Im Verlauf der Zeremonie und der Reise wird der Teeraum selbst zur "Tasse" und füllt sich mit der warmen Flüssigkeit, in der die beiden westlichen Passagiere einer mysteriösen körperlichen Transformation unterworfen werden.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (dt./engl.).

Matthew Barney
5. November 07 bis 29. März 2008