Sammlung Goetz zeigt Francis Alÿs

Die Sammlung Goetz zeigt eine umfassende Werkschau mit mehr als 20 Arbeiten des 1959 im belgischen Antwerpen geborenen Künstlers Francis Alÿs. Fotografien, Collagen, Gemälde, Zeichnungen, Audio-, Dia- und Videoinstallationen sowie Skulpturen geben einen Überblick über Alÿs’ reiches Schaffen zwischen den Jahren 1991–2006. Nachdem 2001 bereits der damals neue Filmraum BASE 103 u. a. mit Alÿs’ Videoinstallation "Cuentos Patrióticos" (1997) eingeweiht wurde, hat der Künstler nun ein Ausstellungskonzept mit allen in der Sammlung befindlichen Werken entwickelt.

Alÿs erzählt in seinen Werken kleine Geschichten, die humorvoll sind und auch einen melancholischen Charakter haben. Ohne moralisch belehrend zu sein, regt er auf subtile Art und Weise den Betrachter zum genauen Hinsehen an. Oft thematisiert er den Straßenalltag und beschäftigt sich mit den urbanen Gegebenheiten seiner Wahlheimat Mexiko. Durch seine Paseos – Spaziergänge – wurde er international bekannt und schaffte rund um diese Spaziergänge ein vielfältiges Werk, das sich nicht nur mit sozialen, politischen und geschichtlichen Gegebenheiten seiner Wahlheimat kritisch und mit feinem Humor sensibel auseinandersetzt, sondern darüber hinaus immer auch eine allgemeingültige, zutiefst menschliche Dimension hat. In seinen Zeichnungen stellt Alÿs oft das Prozesshafte seiner Kunstwerke transparent dar und lässt so den Betrachter zum Komplizen werden. Der Dialog mit dem Betrachter beschäftigt den Künstler in vielen seinen Arbeiten und so auch in dieser Ausstellung.

Im Eingangsbereich beginnend, hat der Künstler über das gesamte Gebäude seine neunteilige Videoinstallation "Choques" (2005–2006) verteilt. Die Videos zeigen einen Zusammenstoß zwischen einem Hund und einem Mann aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Durch die Platzierung der Monitore, leitet die Arbeit den Ausstellungsbesucher von einem Monitor zum nächsten. So wird er vom Künstler durch die Ausstellungsräume geleitet.

Eine scheinbare Irreführung erfährt der Betrachter durch das Werk "Ohne Titel" (1996), welches aus zwei kleinformatigen Gemälden besteht, wovon eines die exakte Kopie des anderen ist. Sie zeigen die Beine eines Mannes, der auf einem Trottoir hinter einer Katze herläuft. An zwei unterschiedlichen Orten im Museum installiert, rufen sie beim Betrachter einen vom Künstler intendierten Moment des Déjà-vu hervor. Sie entstammen der gleichnamigen Serie, die zwischen 1996 und 2002 entstand und insgesamt 15 Bilderpaare umfasst.

Viele der weiteren ausgestellten Werke entstanden in der geschichtsträchtigen und sozial schwachen Umgebung des Zócalo, dem Hauptplatz Mexico Citys. Dazu gehört "Cuentos Patrióticos" (1997). Im Video umrundet der Künstler den Fahnenmast auf dem Zócalo, an einer Leine trottet ihm ein Leithammel hinterher. Mit jeder neuen Runde kommt ein weiteres Schaf hinzu, bis der Kreis geschlossen ist. Als Ausgangspunkt dieser absurd anmutenden Aktion diente Alÿs ein konkretes Ereignis. Während der Unruhen von 1968 waren Tausende von Staatsdienern auf den Zócalo gerufen worden, um die Regierung demonstrativ zu unterstützen, drehten aber in einem rebellischen Akt der offiziellen Tribüne den Rücken zu und begannen zu blöken wie eine riesige Schafherde.

Von 1992 bis 2001 hat Alÿs in den Straßen Mexico Citys Menschen und Tiere fotografisch dokumentiert. In der Diashow "Ambulantes" (1992–2001), das mit "Umherziehenden" oder "Wanderern" zu übersetzen ist, fotografiert Alÿs Menschen, die verschiedenste Dinge wie Kisten, Pflanzen, Tonnen, Luftballons und vieles andere über die ansonsten menschenleeren Straßen tragen oder ziehen. Obwohl die Tätigkeit des Schleppens dieser überproportional großen Gegenstände eines immensen Kraftaufwandes bedarf, strahlen die Aufnahmen Ruhe und Gelassenheit aus. Alÿs stellt durch die Improvisationen der ärmsten Großstädter des Landes die Kehrseite einer vernetzten, globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft dar. Sie sind mehr als nur ein Beleg für die Armut in der Millionenmetropole und dokumentieren – wie auch die beiden Arbeiten "Sleepers III" (2003) und "Beggars" (2003–2004) – den privaten Gebrauch der Straßen, das Aneignen des öffentlichen Raums.

Francis Alÿs studierte von 1978 bis 1983 zunächst Architektur in Tournai (Belgien) und erwarb seinen Abschluss am Istituto Universitario de Architettura in Venedig. Seit 1986 lebt er in Mexico City und hatte bereits 1990 dort seine erste Einzelausstellung. Er gilt als einer der wichtigsten Künstler des Landes. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde auch die internationale Kunstszene auf den Autodidakten aufmerksam. Die Bedeutung seines Œuvres wird eindrucksvoll durch die Anerkennung bezeugt, die ihm in zahlreichen internationalen Ausstellungen in Museen, Galerien und seine Teilnahme an Biennalen entgegengebracht wird.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (dt./engl.) mit einer Einführung von Ingvild Goetz sowie Texten von Magali Arriola, Karsten Löckemann, Stephan Urbaschek und Katharina Vossenkuhl, die zudem das Werkverzeichnis erstellt.

Francis Alÿs
26. Mai bis 11. Oktober 2008