Ruhe vor dem Sturm

Die Ausstellung "Ruhe vor dem Sturm" gibt den ersten großen Überblick über eine der prägendsten Entwicklungen der modernen Kunst im Rheinland. Seit dem Ende der 1960er- Jahre bis in die jüngste Gegenwart hinein bildet die amerikanische Minimal Art einen Bezugspunkt, mit dem sich Künstlerinnen und Künstler des Rheinlands auf besondere Weise auseinandergesetzt haben. Sie analysieren die Konzeptualität und Strenge ihrer amerikanischen Kollegen und überführen sie zugleich mit Humor, Wärme, intellektueller Souveränität und einem spezifischen Sinn für die Eigenschaften des Materials in eine neue Sphäre.

Die Kunstakademie in Düsseldorf, an der viele der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler studiert oder auch gelehrt haben, stellte einen wichtigen Kristallisationspunkt dar. Joseph Beuys repräsentierte dort in den späten 1960er-Jahren gemeinsam mit seinen Schülerinnen und Schülern wie Imi Giese, Imi Knoebel, Blinky Palermo und Reiner Ruthenbeck die ganze Vielfalt von Ansätzen der undogmatischen Beschäftigung mit minimalistischen Tendenzen. Ab Mitte der 1970er-Jahre behandelte auch Benjamin Buchloh in seinen Vorlesungen die aktuellen Strömungen – insbesondere die Minimal Art – und sorgte damit für das theoretische Rüstzeug, das eine jüngere Generation begierig aufgriff. Diese zweite Generation von Künstlerinnen und Künstlern wie Rosemarie Trockel oder Thomas Schütte, ist es dann auch, die Ende der 1970er Jahre auf dem Fundament der Minimal Art den fulminanten Start in die Postmoderne anführt.

In Deutschland waren Werke der Minimal Art erstmals im Jahr 1967 im Programm der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf und 1968 auf der documenta 4 in Kassel zu sehen. Dadurch kam die rheinische Kunstszene schon sehr früh mit den Vertretern der Minimal Art und ihren Werken in Kontakt. Das artsmagazin-Heft vom März 1967 mit dem Titel "A Minimal Future? Art as Objekt 1958 – 1968", die umfangreich minimalistisches Kunstschaffen analysierte, war auch im Rheinland eine begehrte und lebhaft diskutierte Ausgabe. Mit der Ausstellung Minimal Art in der Kunsthalle Düsseldorf, die zuvor im Gemeentemuseum in Den Haag gezeigt worden war, hatte die neue Kunstrichtung im Jahre 1969 auch die erste öffentliche Institution in Deutschland erreicht.

Das minimalistische Kunstschaffen besaß in vielerlei Hinsicht einen großen Einfluss auf die Kunstszene im Rheinland. Auf formaler Ebene zeigt sich das zum Beispiel in der Verwendung industriell vorgefertigter Materialien sowie anonymer, mechanisierter Produktionsweisen. Inhaltlich wurde die Orientierung bildhauerischer Werke am Maß des menschlichen Körpers bedeutsam. Auch das Prinzip der Reihung, der Serialität, das anstelle einer Kompositionsidee tritt, wurde für viele Künstlerinnen und Künstler wegweisend. Sie alle integrierten – als Konsequenz ihrer Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Vorbild – bestimmte Merkmale der Minimal Art in ihre Arbeitsweise. Zugleich aber luden sie die entstehenden Formen und die verwendeten Materialien wieder mit inhaltlicher Tiefe und einer Vielzahl von Bedeutungen auf, die weit über die Vorstellungen der Minimal Art hinausgingen.

Der Begriff "Postminimal" wurde erstmals im November 1971 von Robert Pincus-Witten im artforum verwendet und bezieht sich auf eine Erweiterung und Bereicherung der ursprünglichen minimalistischen Strategien. Auch wenn es sich nicht um eine neue Kunstrichtung handelte, so kann man doch von einer besonderen rheinischen Form des Postminimalismus sprechen: Hier werden minimalistische Setzungen ironisch zuspitzt oder humorvoll gebrochen; und im Gegensatz zur minimalistischen Verweigerung von weiterführenden Inhalten oder Erzählungen integrieren die rheinischen Künstlerinnen und Künstler mit großer Zitierfreude die politische, gesellschaftliche und kulturelle Welt wieder in ihre Werke.

So nimmt zum Beispiel Sigmar Polke in seinem Gemälde Carl Andre in Delft (1968) Bezug auf einen der herausragenden Vertreter der Minimal Art, Carl Andre. Allerdings bricht er das Prinzip des Amerikaners, mit industriell gefertigten Stahl- oder Kupferplatten raumgreifende Bodenreliefs zu legen, ironisch auf: Polke malt ein Raster von Delfter Kacheln mit klassischen Segelboot-Motiven und konterkariert auf diese Weise die strenge Ablehnung der Minimalisten von jeglichen Bedeutungen oder erzählerischen Werkebenen.

Erinna König wiederum kombiniert ein handelsübliches Metallgitter mit einem schwarzen Frotteetuch, von dessen Rückseite gelbe Farbpunkte wie leuchtende Sterne in den Vordergrund scheinen. Konsequenterweise nennt sie diese Arbeit "Sternenhimmel zum Quadrat" (1981) und deutet auf diese Weise an, wie sie sich eine Weiterentwicklung der Minimal Art vorstellte. Rosemarie Trockel schließlich betont mit ihren beiden stereometrischen "Schaumstoffarbeiten" (beide 1989) die Aspekte der Weichheit und der Wärme als Gegenspieler der minimalistischen Härte und "Coolness". Mit dem Gegensatzpaar "cooler Look vs. weiche Haptik" thematisiert Trockel in ihrem Werk immer wieder den Widerstreit zwischen dem Leben, der Kunst und der Vergänglichkeit.

KünstlerInnen: Joseph Beuys, Isa Genzken, Ludger Gerdes, Imi Giese, Harald Klingelhöller, Imi Knoebel, Erinna König, Meuser, Reinhard Mucha, C.O. Paeffgen, Marianne Pohl, Blinky Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Reiner Ruthenbeck, Thomas Schütte, Yuji Takeoka und Rosemarie Trockel.


Ruhe vor dem Sturm
Postminimalistische Kunst aus dem Rheinland
13. September 2015 bis 10. Januar 2016