On the Road: Die Filme des Wim Wenders

9. Februar 2015 Walter Gasperi
Bildteil

Mit "Paris Texas" und "Der Himmel über Berlin" schuf zumindest Wim Wenders zwei Meisterwerke der Filmgeschichte, mit "Pina" und "Das Salz der Erde" gelangen ihm zwei herausragende Dokumentarfilme. Die heurige Berlinale ehrt Wenders, der am 14. August 70 wird, mit der Verleihung eines Goldenen Ehrenbären.

Die über die Felszacken des Monument Valley fliegende Kamera erspäht einen Mann, der allein zu Fuß durch diese Wüstengegend stapft. Sein Wasserkanister ist leer, ein Adler lässt sich auf einem nahen Felsen nieder. Der Blick des Mannes schweift in die weite Einöde, in die er seinen Marsch fortsetzt.

Die Eröffnungsszene von "Paris, Texas" (1984) gehört in ihrer filmsprachlichen Präzision zweifellos zu den unvergesslichen Kinomomenten und bringt gleichzeitig auch zentrale Momente zumindest von Wenders´ frühen Filmen auf den Punkt. Die Landschaft ist hier ein Spiegelbild des ausgetrockneten und leeren Inneren des Mannes, seine Wanderschaft verbindet ihn mit zahlreichen anderen Protagonisten von Wenders.

Erst langsam muss dieser Travis (Harry Dean Stanton) wieder ins Leben finden, muss äußere Strecken und den inneren Abstand zu seinem Sohn überwinden, Sohn und Mutter zusammenführen und wird dann wieder alleine weiter ziehen.

Ein Befreiungsschlag war "Paris, Texas" für Wenders nach den frustrierenden Erfahrungen bei der langwierigen Produktion von "Hammett" (1978 – 1982), für den Francis Ford Coppola den Deutschen nach Amerika geholt hatte. Das Traumland waren die USA für Wenders zwar, der mit amerikanischer Musik und dem US-Kino in den 1950er Jahren im Ruhrgebiet aufgewachsen war. Doch die Freiheit, die er in den Filmen von John Ford, Anthony Mann und Nicholas Ray entdeckte, wurde ihm bei der Produktion von "Hammett" verweigert, konnte weder in Schwarzweiß drehen noch sein deutsches Team einsetzen.

Fast zerbrochen ist Wenders an "Hammett", hat seine schmerzlichen Erfahrungen im schwarzweißen "Der Stand der Dinge" (1982) aufgearbeitet und darin gleichzeitig übers Filmemachen reflektiert, ehe er nochmals in die USA aufbrach, um mit "Paris, Texas" in völliger Freiheit nun wirklich seinen amerikanischen Film zu drehen.

In Sam Shepard, der das Drehbuch schrieb, in Robby Müller hinter der Kamera und dem Musiker Ry Cooder fand er Geistesverwandte, aus deren Zusammenarbeit ein Meisterwerk entstand, bei dem Hommage an Wenders´ große filmische Vorbilder, persönliche Geschichte und Stil sich zu einer bruchlosen Einheit fügten.

Diese Leidenschaft für die USA durchzog freilich schon seine frühen Filme vom Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München "Summer in the City" (1970), der wegen unautorisierter Übernahme von Musiktiteln nur auf Filmfestivals gezeigt werden darf bis zur Highsmith-Verfilmung "Der amerikanische Freund" (1977), den er unter anderem mit mehreren seiner Idole wie Dennis Hopper, Nicholas Ray und Sam Fuller besetzte.

Einsame, verlorene Männer auf der Suche nach sich selbst bestimmen diese frühen Filme wie die Handke-Adaption "Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter" (1972), "Alice in den Städten" (1974), die Aktualisierung von Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" in "Falsche Bewegung" (1975) und "Im Lauf der Zeit" (1976).

Wie der mythologische Odysseus sind diese Männer nirgends zu Hause, sondern immer unterwegs. So reist in "Alice in den Städten" ein Journalist mit einem Mädchen und in "Falsche Bewegung" ein Schriftsteller quer durch Deutschland, während in "Im Lauf der Zeit" zwei junge Männer, die Kinoprojektoren reparieren, entlang der deutsch-deutschen Grenze fahren.

Mehr als eine Geschichte ist dabei die quasidokumentarische Beobachtung des Alltags, der Blick auf Tankstellen und andere reale Bauten, auf Landschaften und Straßen der Ausgangspunkt. Erst aus diesem undramatischen Blick heraus entwickelt sich die Geschichte und lebt von dieser Verankerung in der Wirklichkeit.

Diese Realität fließt mit dem damals noch unbebauten Potsdamer Platz und der Berliner Mauer auch noch in "Der Himmel über Berlin" (1986) ein, gleichzeitig kommt mit dem Engel Damiel und seiner Menschwerdung, weil er Sinneserfahrungen machen will und lieben möchte, auch eine hochromantische Ebene ins Spiel.

Die Meisterschaft von "Paris, Texas" und "Der Himmel über Berlin" konnte Wenders danach – zumindest in den Spielfilmen – nicht mehr erreichen. Zu überladen geriet ihm der in der ursprünglichen Fassung 279 Minuten lange Science-Fiction-Film "Bis ans Ende der Welt", zu moralisierend sein Post-9/11-Stimmungsbild "Land of Plenty" und bei "Million Dollar Hotel"(2000) sowei "Palermo Shooting" will der Versuch mainstreamiges Genrekino und Autorenfilm zu verknüpfen, nicht aufgehen.

Mehr als mit seinen Spielfilmen konnte Wenders in den letzten 15 Jahren mit seinen Dokumentarfilmen überzeugen. Ein Welterfolg gelang ihm 1999 mit "Buena Vista Social Club", für den er mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde und ebenso eine Oscarnominierung erhielt wie für seinen in 3D gedrehten Dokumentarfilm "Pina" (2011).

Überstrahlt werden diese Filme aber von Wenders´ jüngstem, ebenfalls für den Oscar nominierten Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" (2014). Wie der 69-jährige Regisseur hier das Porträt des brasilianischen Fotografen Sebastio Salgado anhand zahlreicher Fotos zeichnet, sich dabei als sozial engagierter Filmemacher zeigt und gleichzeitig über die Bildproduktion und die Ethik von Bildern – Themen, die sich durch Wenders´ ganzes Werk ziehen – reflektiert, ist zutiefst beeindruckend und bewegend.

Eröffnungsszene von "Paris, Texas"