2. Dezember 2014 - 4:30 / Walter Gasperi / Filmriss
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Nach zehn Jahren Haft wegen Totschlags wird Ertan aus dem Gefängnis entlassen, versucht in Wien einen Weg in ein ziviles Leben zu finden und gleichzeitig einen türkischen Teenager vor dem Absturz in die Kriminalität zu bewahren. Umut Dag gelang mit seinem zweiten Spielfilm ein atmosphärisch dichtes, stark gespieltes Sozialdrama, das eine konsequente Innensicht auf die Lebenswelten türkischer Migranten bietet.

Die erste Einstellung gibt schon den Ton vor: Eine ältere Frau verfolgt einen Mann aus einem tristen Sozialbau, holt ihn ein und schlägt immer wieder auf ihn ein. Die Betonwand evoziert ebenso wie das kalte weiße Licht, die auf dunkle Töne reduzierte Farbpalette und ein kahler Baum eine kalte Atmosphäre.

Diese Stimmung wird sich durch den ganzen Film ziehen, rar gesät sind Momente des Glücks. Mit einer beweglichen und nah geführten Handkamera sowie einem dynamischen Schnitt zieht der 32-jährige kurdischstämmige Wiener Umut Dag, der nach dem Kammerspiel "Kuma" mit "Risse im Beton" seinen zweiten Spielfilm vorlegt, den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen und ins Milieu hinein. Kaum einmal öffnet sich der Blick auf eine Welt jenseits der der türkischen Migranten, die interessanterweise untereinander weitgehend Deutsch sprechen.

Im Zentrum der in Wien spielenden Handlung steht Ertan (Murathan Muslu), der nach zehn Jahren aus der Haft entlassen wird. Mit seinen früheren kriminellen Freunden will er nichts mehr zu tun haben, sondern ein neues Leben beginnen. Doch die Haft hat ihn schwer gezeichnet. Über seine Gefühle und Erfahrungen kann er aber nicht sprechen, nachts kann er nicht schlafen und so läuft er lange durch Wiener Betonsiedlungen.

Dennoch findet er einen Job als Handwerker. Als er ein Jugendzentrum renovieren muss, trifft er dort auf den Teenager Mikail (Alechan Tagaev), um den er sich auffallend zu kümmern beginnt. Rasch ahnt der Zuschauer, dass zwischen den beiden eine Beziehung bestehen muss, die Preisgabe des Geheimnisses zögert Dag aber aus dramaturgischen Gründen lange hinaus.

Der Teenager, der quasi das Spiegelbild des jungen Ertan ist, möchte aus dem tristen Milieu ausbrechen, träumt von einem Durchbruch als Rapper und verkauft Drogen, um die Produktion eines Mixtapes zu finanzieren. Je mehr er freilich investiert, desto prekärer wird seine Situation, größer seine Schulden, härter der Druck der Geldgeber und nur in der Liebe zu einer Gleichaltrigen findet er Trost…

Stark ist "Risse im Beton" im ungeschminkten Blick auf das Milieu, in lebensechten, von Aggression bestimmten Dialogen und starken Schauspielern, aber auch im reduzierten Musikeinsatz und den kalten von Betonbauten dominierten Winterbildern. Spürbar wird über diese visuelle Ebene die schwierige Situation dieser Migranten, die verzweifelt um ein besseres Leben kämpfen, aber kaum eine Chance haben aus ihrem Milieu herauszukommen.

Etwas konstruiert wirkt freilich die Beziehungsgeschichte, bei der Umut Dag dann auch auf die Tränendrüse drückt. Zudem werden mit Ertans Konflikt mit seinem Bruder, der nichts mehr mit dem Ex-Häftling zu tun haben will, und seiner schwierigen Beziehung zur Mutter oder der ersten Liebe Mikails zwar mehrere interessante Aspekte angeschnitten, die dann aber doch nicht weiterentwickelt werden.

Mit der Durchschlagskraft und der Prägnanz der Filme der Dardenne-Brüder, auf deren Spuren Dag hier auch durch den Einsatz der Handkamera und die Zurücknahme der Musik deutlich wandelt, kann es "Risse im Beton" folglich nicht aufnehmen, aber ein kraftvolles und dichtes Sozialdrama, das einen vermutlich authentischen und schonungslosen Einblick in ein Milieu und Mentalitäten bietet, über die man so lebhaft und an einem persönlichen Schicksal aufgehängt sonst kaum etwas erfährt, ist Dag mit diesem Film allemal gelungen.

Wird vom FKC Dornbirn am Mittwoch, den 10.12. um 18 Uhr und am Donnerstag, den 11.12. um 19.30 Uhr im Cinema Dornbirn gezeigt (Deutsche Originalfassung)

Trailer zu "Risse im Beton"

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)

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