Das Belvedere 21 zeigt die erste große institutionelle Personale von Maria Hahnenkamp. Die bemerkenswerte österreichische Künstlerin widersetzt sich mit radikaler Konsequenz und subtiler Subversion den Mechanismen einer beschleunigten und oberflächlichen Bildproduktion und eröffnet neue Perspektiven des Sehens und Denkens.
Seit über dreißig Jahren arbeitet Maria Hahnenkamp mit, durch, über und auch gegen das Medium Fotografie und seine spezifischen Anordnungen. In ihrer kritisch-feministischen Praxis unterläuft sie bewusst mediale Schaulust, verweigert die passive Konsumierbarkeit von Bildern und eröffnet alternative Perspektiven auf Körper, Raum und gesellschaftliche Normen.
Hahnenkamp ist für ihre medienkritische und feministische Praxis bekannt und eine Schlüsselfigur der österreichischen Gegenwartskunst. Als Autodidaktin eignet sie sich in den 1980er Jahren das fotografische Handwerk über die Gebrauchsgrafik an, sammelt Erfahrungen in Druckereien und Werbeagenturen und beginnt parallel dazu, die ihr begegnenden Bildstrategien zu hinterfragen und umzukehren. Anfang der 1990er Jahre besucht Hahnenkamp die Schule für künstlerische Fotografie von Friedl Kubelka-Bondy, wo sie sich in Workshops mit experimenteller und künstlerischer Fotografie auseinandersetzt. Gleichzeitig entstehen erste künstlerische Arbeiten.
Hahnenkamps Werk umfasst Fotografien, Arbeiten auf Fotopapier, Diaprojektionen, Videoarbeiten, Installationen und ortsspezifische Interventionen. Sie bezeichnet sich bewusst als Künstlerin, die mit Fotografie arbeitet - nicht als Fotografin. Ihre Arbeiten entstehen im Spannungsfeld von Aneignung, Dekonstruktion und kritischer Reflexion fotografischer Produkte. Indem sie sich selbst von der Kamera zurückzieht, Sujets und Kompositionen nur noch vorgibt und als Künstlerin reflektiert, distanziert sie sich vom vermeintlich objektiven Blick der Fotografie.
Ihr Interesse gilt der Inszenierung des weiblichen Körpers im Kontext einer konsumorientierten Bildproduktion. Gegen diese Form der Aneignung entwickelt sie künstlerische Strategien des Entzugs: Frauenkörper werden fragmentiert, verhüllt oder ausgelöscht - ein bewusster Gegenentwurf zu gängigen Repräsentationsmechanismen. Gleichzeitig setzt sie auf Übersteigerung: Durch die Verwendung von gefundenem Bildmaterial, das als Diaprojektion in schnellem Rhythmus an die Wand geworfen wird, verdeutlicht sie die stetig wachsende Bilderflut.
Durch die alltägliche Konfrontation mit Werbebildern erkennt Hahnenkamp schon früh die Fotografie als Medium der Vereinnahmung und der kommerziellen Oberflächlichkeit. In ihrer Kunst fordert sie das fotografische Bild heraus, untergräbt seine Konventionen und legt das Verborgene hinter dem Sichtbaren frei.
Während ihre Arbeiten auch Bezüge zur feministischen Avantgarde der 1970er Jahre aufweisen, entwickelt sie eine eigenständige Position, die einer jüngeren Künstlergeneration neue Wege aufzeigt. Dabei nutzt sie die Schnittstellen zwischen kommerzieller und künstlerischer Fotografie als produktiven und kritischen Filter - sowohl für ihre Arbeiten als auch für ihre Ausstellungskonzepte.
Ein wesentliches Element in Hahnenkamps Kunst ist das Ornament, das sie aus der christlichen Ikonographie ableitet und dort als vermeintlich sinnentleertes Surrogat für Weiblichkeit, Sinnlichkeit und Erotik erkennt. Auch in ihren Arbeiten überziehen ornamentale Ranken und Rocaillen den (weiblichen) Körper und symbolisieren ihre Kritik an der historischen Verdrängung der Frau in katholisch-patriarchalisch organisierten Gesellschaften. Zugleich setzt Hahnenkamp die Strategie des Entzugs produktiv ein, um neue Wahrnehmungsebenen zu eröffnen: Ihre ortsspezifischen Bohrungen, bestehend aus Hunderten von Löchern, durchdringen die Ausstellungswand und entziehen sich einer passiven Konsumierbarkeit. Der großflächige, radikal invasive Eingriff bewegt sich an der Grenze zur Unsichtbarkeit und erfordert von den Betrachter:innen ein hohes Maß an Konzentration und Aufmerksamkeit. So greift Hahnenkamp nicht nur in den Raum ein, sondern hebt mit ihren Interventionen die Grenzen zwischen Bildrahmen und institutionellem Rahmen auf.
Die Ausstellung folgt keiner chronologischen oder thematischen Gliederung, sondern zeigt die komplexe Verflechtung von Interessen, Kritiken und künstlerischen Strategien im Werk von Maria Hahnenkamp. So steht ihre früheste Werkgruppe von vier Fotoalben (ab 1989) neben einer ins Videoformat übersetzten Diaprojektionsarbeit (Vogue, 2005) oder einer großformatigen Arbeit (O.T., 1993), in der sie 195 analoge Fotografien von Frauen in Schönheitssalons bis auf den Fototräger abgeschliffen und zusammengenäht hat. Die Nähe von Arbeiten aus unterschiedlichen Schaffensperioden verdeutlicht das Festhalten, Wiederaufgreifen und stetige Weiterentwickeln einer konsequent entwickelten künstlerischen Praxis und zeigt sowohl die mediale Bandbreite als auch die inhaltlichen Schwerpunkte Hahnenkamps auf - formal vom privatesten Format des Bildsammelns über das Auslöschen gesellschaftlich normierter Darstellungen bis hin zur großflächigen Projektion von gefundenem und angeeignetem Bildmaterial; inhaltlich von der ikonographischen Analyse privater Handreichungen im Haushalt über liturgisches Zeremoniell in der Kirche bis hin zu kommerzialisierten Darstellungsformen der Frau in Mode, Porno oder Kunstgeschichte.
Die jüngste Arbeit der Künstlerin, die speziell für das Belvedere 21 entwickelt wurde, greift die Auseinandersetzung mit der Leere bzw. dem Nichtzeigbaren und Unsagbaren auf: Die Ausstellung wird um einen Klangraum erweitert, der in Zusammenarbeit mit der Sopranistin Ursula Langmayr entstanden ist und auf dem von Hahnenkamp adaptierten „Vortrag über nichts“ von John Cage basiert. Als Live-Performance ist die Soundarbeit an sechs Terminen in der Schau erlebbar, als Tonaufnahme begegnet sie den Besucher:innen im Ausstellungsraum (der Zufall bestimmt die Abspielzeiten).
Maria Hahnenkamp (*1959 in Eisenstadt/Burgenland) lebt und arbeitet in Wien.
Maria Hahnenkamp
bis 31. August 2025