Das Foto Arsenal Wien zeigt aus dem Bestand der Fondation Henri Cartier-Bresson in Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg und der Fundación Mapfre in Barcelona die erste Retrospektive von Henri Cartier-Bresson seit Jahrzehnten in Österreich.
Ein Mann springt über eine große Pfütze, um trockene Füße zu behalten, die Hacke berührt fast den Untergrund – einen winzigen Moment später wäre die Komposition in der spiegelnden Wasseroberfläche dahin. Der entscheidende Augenblick – in der Fotografie ist dieser alles bestimmend. Er ist eine Synthese aus Wissen, Sensibilität, Technik, Form, Zufall und purer Intuition. Wenn all diese Elemente zusammentreffen, entstehen so starke, einzigartige Bilder, die über das Alltägliche hinausgehen und etwas vom Wesen des Lebens enthüllen. Henri Cartier-Bresson (1908–2004) gilt als einer der Gründer:innen des modernen Fotojournalismus und zählt zu den berühmtesten Fotograf:innen des 20. Jahrhunderts.
1947 wird er zum Mit-Begründer der Agentur Magnum und prägt mit seiner erzählerischen Fotografie nachfolgende Generationen von Fotograf:innen. Auf den Straßen wird er zum Akteur mit der Kamera und etabliert das Genre der "Street Photography", das zwischenmenschliches Verhalten im Alltag, bei der Arbeit und in der Freizeit abbildet. Cartier-Bresson wird so zum Erfinder der Beobachtung und Analyse menschlichen Handelns in spontanen Augenblicken und zeigt mithilfe seiner Kamera wie Verhaltensmuster in flüchtigen Szenen sichtbar werden, die sonst im Getümmel der Straßen untergegangen wären.
Henri Cartier-Bressons Frühwerk ist stark vom Surrealismus und dem "Neuen Sehen" der 1920er-Jahre geprägt. Künstler wie André Breton und René Magritte beeinflussen seine frühe Bildsprache, in der Alltägliches rätselhaft und in einer anderen Realität erschien. Ab den 1930er-Jahren wendet er sich vermehrt der Fotoreportage zu. Als Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts dokumentiert er zahlreiche politische und gesellschaftliche Ereignisse – von der spanischen Front bis zu den Krönungsfeierlichkeiten in Großbritannien.
Cartier-Bresson, der zeitweise mit der politischen Linken sympathisierte, interessiert sich besonders für gesellschaftliche Randgruppen. Nach seiner Flucht aus deutscher Kriegsgefangenschaft fotografiert er 1945 in Dessau die Rückführung sogenannter "Displaced Persons". Diese Arbeit markiert den Beginn seiner internationalen Karriere als Fotojournalist.
Seine Reportagen zeigen kulturelle und weltpolitische Schlüsselereignisse wie Gandhis Beisetzung (1948), das Ende der Kuomintang-Herrschaft in China (1949) oder das Leben im geteilten Berlin (1962). Als erster westlicher Fotograf dokumentierte er 1954 das Leben in der Sowjetunion nach Stalins Tod.
Neben politischen Themen porträtiert Cartier-Bresson auch zahlreiche Künstler:innen, darunter Coco Chanel und Henri Matisse. Geprägt vom scharfen Blick für das Wesentliche und der Fähigkeit, den "entscheidenden Augenblick" fotografisch festzuhalten, bietet seine Street Photography einen humanistischen Zugang.
Der Titel der Ausstellung "Watch! Watch! Watch!" reflektiert Fragen der Wahrnehmung, die nur durch die Kamera und mit Fotografie möglich sind: Es ist die Möglichkeit, einen winzigen Moment einzufangen. Mit der umfangreichen Retrospektive wird anhand von 240 Exponaten sowie zahlreichen Veröffentlichungen in Illustrierten und Büchern das Lebenswerk des Fotografen von den 1930er- bis in die 1970er-Jahre beleuchtet. Neben bekannten, ikonischen Bildern zeigt die Ausstellung frühe, surrealistisch geprägte Aufnahmen sowie Fotoreportagen, Porträts und noch nie gezeigte Bilder und Filme.
Henri Cartier-Bresson
Watch! Watch! Watch!
Bis 21. September 2025