Remembering Forward

Es ist weit mehr als lebendige Erinnerung – es ist eine sinnhafte, nicht lineare Verflechtung von Vergangenem und Zukünftigem, Ursachen und Wirkungen, die die Malerei der australischen Aborigines prägt. In Europa sind die außergewöhnlichen Kunstwerke noch weitgehend unbekannt. Das Museum Ludwig widmet der Malerei der australischen Aborigines nun eine umfangreiche Sonderausstellung, in der rund 50 Gemälde von neun herausragenden Künstler/-innen aus den letzten fünf Jahrzehnten gezeigt werden.

Trotz ihres Ursprungs in entlegenen Gebieten Australiens sind die Werke dieser indigenen Künstler zentrale Beiträge zur internationalen zeitgenössischen Kunstproduktion, die den Blick auf Malerei zu erweitern vermögen. Die Ausstellung erschließt mit der Auswahl von Künstlern aus verschiedenen Regionen – Western und Central Desert, Kimberley, Arnhem Land – auch die Vielfalt der höchst unterschiedlichen indigenen Kulturen Australiens.

Die Ausstellung legt besonderes Augenmerk darauf, die hinter den Werken stehenden Künstlerpersönlichkeiten in ihrer individuellen Entwicklung sichtbar werden zu lassen. Ihre Arbeiten werden nicht allein als Ausdruck ihrer kulturellen Zugehörigkeit verstanden, sondern als Durchdringung von Tradition und Moderne durch Kunst. In ihren Themen beziehen sich die Künstler auf ihre jeweiligen Dreamings – Erzählungen aus der Schöpfungszeit. Diese Schöpfungsmythen beschreiben nach indigener Vorstellung, wie die Ahnen das Land gestaltet haben und reichen dabei aber bis in die Zukunft. So müssen diese Werke auch vielmehr als hochaktuelle Auseinandersetzung denn als kulturhistorische Aufarbeitung betrachtet werden, die im Zusammenspiel mit neuen Materialien wie Acrylfarbe und Leinwand zur Entwicklung inhaltlich wie formal äußerst innovativer Darstellungsweisen führten. Die Auswahl der Künstler macht die Vielfalt des Experimentierens mit der Malerei exemplarisch erfahrbar.

So haben Künstlerinnen wie Emily Kame Kngwarreye und Dorothy Napangardi sich zunehmend von der Darstellung konkreter Erzählungen verabschiedet und sind zu Bildauffassungen gelangt, die als Abstraktion bezeichnet werden dürfen, ohne jedoch den konkreten Bezug zum Land aufzugeben. Clifford Possum Tjapaltjarri und Tim Leura Tjapaltjarri verfolgten mit ihren etwas früheren Arbeiten einen anderen Weg, indem sie eine Vielzahl verschiedener Erzählungen, die mit einem bestimmten Ort verbunden sind, zu einem Gesamtbild fügen – ein Verfahren, das in der traditionellen Sandmalerei nicht angewandt wurde. Turkey Tolson Tjupurrula wiederum variierte eines seiner Themen immer wieder: das Geradebiegen von Speeren. Er verdichtet darin eine Erzählung vom Zerfließen der Zeit und die mit der Darstellung des Landes verbundene Auseinandersetzung über Landrechte zu einer komplexen visuellen Metapher. Künstler aus den Kimberley, wie Rover Thomas, Queenie McKenzie und Paddy Bedford haben den mythologischen Gehalt ihrer Bilder kombiniert mit historischen Ereignissen der Kolonisierung. Die Grausamkeit der europäischen Besiedlung Australiens wird in Gemälden greifbar, die von Massakern an der indigenen Bevölkerung handeln.

Zwei Sammmlungen von Malerei auf Baumrinde aus Arnhem Land stellen nicht nur diese faszinierende Maltechnik vor, sondern liefern auch den historischen Kontext von Ausstellungen indigener australischer Kunst in westlichen Kunstmuseen. Die von dem Künstler und Kurator Tony Tuckson gemeinsam mit dem Mäzen Stuart Scougall aufgebaute Sammlung von Bildern auf Baumrinde aus Arnhem Land datiert aus der Zeit um 1960. Ihre Ausstellung in der Art Gallery of New South Wales löste eine breite Diskussion über die Angemessenheit von Ausstellungen indigener Kunst in Kunstmuseen aus. Remembering Forward steht noch immer im Kontext dieser Debatte. Ergänzt wird diese Sammlung durch Arbeiten aus der von Karel Kupka fast zeitgleich für das Museum der Kulturen in Basel zusammengetragenen Sammlung. Insgesamt werden vierzehn Gemälde auf Baumrinde von elf, teilweise namentlich nicht bekannten Künstlern gezeigt.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag mit Beiträgen von R. Bell, E. J. Evans, I. McLean, D. Mundine OAM, F. Myers, J. Ryan, F. Wolf zum Preis von ca. 39,90 Euro. Die englische Ausgabe wird von Paul Holberton Publishing verlegt.

Remembering Forward
Malerei der australischen Aborigines seit 1960
20. November 2010 bis 20. März 2011