Reflecting Fashion

Die wechselseitige Annäherung von Kunst und Mode erfuhr bereits vor über 100 Jahren einen Höhepunkt. Heute sind beide Disziplinen zu einem angesagten Crossover verschmolzen und Ausdruck eines neuen kreativen Lebensstils. Die große Sommerausstellung im Mumok begibt sich auf historische Spurensuche und stellt die vielfältigen Verflechtungen von Kunst und Mode von der Moderne bis zur Gegenwart beispielhaft vor.

"Reflecting Fashion" vereint über 300 Gemälde, Zeichnungen, Skizzen, Textilien, Videos und Fotografien von bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten wie Giacomo Balla, Sonia Delaunay, Joseph Beuys, Andy Warhol, Yayoi Kusama, Cindy Sherman, Stephen Willats und vielen anderen. Die Leihgaben stammen aus über 70 international renommierten Institutionen und Privatsammlungen.

Schon seit Baudelaire (1821–1867) gilt die Mode als Inbegriff des Modernen. Er verwendet die Begriffe "Mode" und "Moderne" nahezu synonym und bezeichnet sie als das Vergängliche, Flüchtige und Mögliche. Die Modernisierung der Gesellschaft spiegelt sich im fortschrittlichen Modebewusstsein von KünstlerInnen, die damit zugleich neue progressive Rollenbilder propagieren.

Sonia Delaunay (1885–1979), russisch-französische Malerin und Designerin, verfolgt konsequent den Weg von der Kunst in die Mode, um das Image der modernen Frau zu verbessern. In der Ausstellung sind Entwürfe für ihre berühmten abstrakten Stoffe zu sehen. Mit den Futuristen – allen voran Giacomo Balla – und Sonia und Robert Delaunay oder Sophie Taeuber-Arp wird es sichtlich bunt in der Moderne. Balla etwa unterzieht den männlichen Anzug mit seinen schrilldynamischen Neuinterpretationen einer grundlegenden Revision und produziert 1914 als Erster einen Overall. Dass auch die Wiener Moderne an diesem Aufbruch wesentlich teilhatten, beweisen die Wiener Modeproduktion um 1900 mit Kolo Moser, Gustav Klimt und Emilie Flöge sowie einzelne Positionen der Wiener Werkstätte.

Darüber hinaus veranschaulicht "Reflecting Fashion" die wesentliche Rolle des Surrealismus im Wechselspiel von Kunst und Mode. Max Ernst propagiert mit seiner Devise "Fiat modes – pereat ars" ("Es lebe die Mode – nieder mit der Kunst") eine Vormachtstellung der Mode gegenüber der Kunst. Auch die legendären Modeschöpferinnen Elsa Schiaparelli (1890–1973) und Coco Chanel (1883–1971) sind eng mit der Kunst verbunden. Ein wesentliches Ausstellungsstück ist Schiaparellis berühmtes "Hummerkleid" (Woman’s Dinner Dress, 1937), das sie zusammen mit Salvador Dalí entwarf und das auf dessen – in der Pariser Surrealistenausstellung (1938) gezeigtes – "Hummertelefon" (Téléphone-homard, 1936) Bezug nimmt. Der spanische Künstler gestaltete zwischen 1939 und 1971 insgesamt vier Titelseiten der Vogue, die auch dem Kleid mit Hummerdruckmuster eine Fotostrecke widmete.

In den Aufbruchsbewegungen der 1960er-Jahre – Pop Art, Fluxus oder Neodada – wird die Mode populär. Performative und medienübergreifende Ansätze bestimmen die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema. Besonders die Pop Art-Ikone Andy Warhol versteht es virtuos, Kunst, Mode, Glamour und Business zum Gesamtkunstwerk zu verbinden. "Reflecting Fashion" präsentiert Warhol als Modell und Trendsetter. Ebenfalls in der Ausstellung vertreten sind beispielsweise Yayoi Kusamas teigwarenbesticktes "Golddress" (1966) oder Christos überdimensioniertes "Wedding Dress" (1967), das im Rahmen einer Modeschau anlässlich einer Ausstellungseröffnung in Philadelphia erstmals von einem Model durch den Raum gezogen wird und einen ebenso kritischen wie ironischen Beitrag zur Mode liefert. Einen wichtigen Themenbereich bilden nicht zuletzt die feministischen Arbeiten von Martha Rosler, Sanja Ivekovic oder Valie Export.

Wie die Präsentation im Mumok dokumentiert, haben KünstlerInnen seit Beginn der Moderne mit DesignerInnen kooperiert. Ab den 1980er-Jahren entstehen immer engere Vernetzungen zwischen den Genres. Kunst- und Modewelt erobern einen festen Platz im Alltag und entwickeln sich immer mehr zu einem Big Business. Internationale Kollaborationen von KünstlerInnen, DesignerInnen oder anderen Kreativschaffenden machen Schlagzeilen. Die amerikanische Fotokünstlerin Cindy Sherman arbeitet mit unterschiedlichen Labels zusammen – darunter Comme des Garçons, Issey Miyake oder Balenciaga – und ist in der Ausstellung mit mehreren Arbeiten vertreten. Sylvie Fleury inszeniert mit ihrem "Formula 1 Dress" (1999), produziert von Hugo Boss, einen Rennanzug von Mika Häkkinen als Kultobjekt.

Der österreichische Künstler Erwin Wurm realisiert eine Skulptur für Hermès, und Elfie Semotan – deren Modefotos Martin Kippenberger zu Bildern inspirierten – verbindet eine langjährige intensive Zusammenarbeit mit dem Modeschöpfer Helmut Lang. Viele zeitgenössische KünstlerInnen, darunter Pawel Althamer, Milica Tomic oder Maja Bajevic, begreifen Mode als eine "Kunst des Gedächtnisses" – Kleidung ist für sie vor allem als Material oder Werkzeug interessant. Die 1967 in Sarajevo geborene Künstlerin Maja Bajevic näht in "Dressed up" (1999) Jugoslawien als neues Kleid zusammen und übersetzt so Erinnerung ins Textile.

Der Katalog zur Ausstellung widmet sich einzelnen Schwerpunkten wie Mode und Moderne, Surrealismus und 1960er-Jahre, Mode und Avantgarde sowie Kleidung und Architektur. Er enthält ein Vorwort von Karola Kraus und Texte von Hans-Georg von Arburg, Elena Esposito, Silvia Eiblmayr, Elfriede Jelinek, Susanne Neuburger, Barbara Rüdiger und Angela Völker.

Reflecting Fashion
Kunst und Mode seit der Moderne
15. Juni bis 23. September 2012