13. Dezember 2020 - 8:52 / Felix Kalaivanan / Film 

Sterben für Fortgeschrittene: Richard Gärtner ist 78 Jahre alt und möchte sterben. Er hat keine körperlichen oder psychischen Erkrankungen, das belegen ärztliche Atteste. Herr Gärtner ist verwitwet und hat vor wenigen Jahren nicht nur seine Frau, sondern auch die Lust am Leben verloren. Jetzt möchte er durch Einnahme eines Medikamentes friedlich und selbstbestimmt seinem Leben ein Ende setzen und tritt mit dieser Bitte vor den Deutschen Ethikrat. Welche Pro- und Contraargumente gibt es zum assistierten Suizid? Mit dieser ethischen Frage konfrontiert der TV-Film "Gott" den Deutschen Ethikrat – und damit auch das Fernsehpublikum.

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten und den Bildschirmen der Nation

Der ehemalige Strafverteidiger Ferdinand von Schirach beschäftigt sich seit dem Erscheinen seines ersten Erzählbandes "Verbrechen" auf literarische Weise mit der Juristerei. Sein zweites Theaterstück "Gott" hatte am 10. September dieses Jahres eine parallele Premiere am Berliner Ensemble und im Schauspielhaus Düsseldorf.

Am 23. November wurde das Theaterstück auch als Fernsehfilm ausgestrahlt, Regie führte hier Lars Kraume. Dieser ist ein Routinier seines Faches, saß er doch bei fast einem duzend Folgen "Tatort" auf dem Regiesessel und konnte für "Der Staat gegen Fritz Bauer" den Publikumsleoparden beim Locarno Film Festival 2015 ergattern. Lars Kraume liefert somit in seiner Adaption des Stückes ein Gerichtsdrama im Kammerspielformat voller bekannter deutscher Bühnenstars.

Der Himmel über Berlin

Moderiert durch Ethikrat-Mitglied Dr. Keller, gespielt von Ina Weisse, äußern sich verschiedene Sachverständige: Eine Jura-Professorin (Christiane Paul), der Vorsitzende der Ärztekammer (Götz Schubert), ein Bischof (Ulrich Matthes), der todessehnsüchtige Herr Gärtner selbst (Matthias Habich), dessen Hausärztin (Anna Maria Mühe) und auch dessen Anwalt (Lars Eidinger), welcher den Enfant terrible gibt und eloquent und frech den Expertinnen Paroli bietet.
Am Ende richtet sich die Ethikrat-Vorsitzende (Barbara Auer) direkt an das Publikum: Soll Richard Gärtner das tödliche Präparat bekommen, um sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen?

Der Schauplatz der Handlung ist dabei der Sitzungssaal des Deutschen Ethikrates, der sehr an einen Gerichtssaal erinnert: In der Mitte die Vorsitzende, an der Seite Richard Gärtner und sein Anwalt und all das vor viel Publikum. Die Kamera ist distanziert, näher als Porträtgröße kommt sie den Figuren nie und bis auf wenige Fahrten durch den Saal scheint sie auch fix auf dem Stativ montiert. Die Ausstattung hat sich zwar Mühe gegeben, die Monotonie zu durchbrechen, so können wir durch eine große Fensterfront den Himmel über Berlin und die Sonne beim Untergehen beobachten. Doch abgesehen von warmen Erdfarben und schicker moderner Innenausstattung bleibt das cineastische Auge trocken.
Es ist der Dialog, der die Geschichte vorantreibt.

Lineares Fernsehen mit Interaktionsmöglichkeit

Die TV-Premiere war zweigeteilt: Nach dem Schlussplädoyer des Anwalts kommt es zu einer kurzen Pause, in der das Fernsehpublikum durch eine Telefonabstimmung in die Rolle des Ethikrats schlüpfen und eine Stimme abgeben konnte. Nach einem kurzen Epilog des Filmes debattierten in der darauffolgenden Sendung "Hart aber fair" nicht mehr Schauspieler, sondern reale ExpertInnen zum Thema. Sie machten auch auf einige dramaturgische Freiheiten und Vereinfachungen aufmerksam, welcher sich der Film bediene und rückten diese in ein realistisches Licht.

Mit etwa 70 Prozent stimmten übrigens die Mehrheit der ZuschauerInnen von den Argumenten des Anwalts überzeugt. Dies überrascht nicht und hängt auch mit der Erzählstruktur des Filmes zusammen. Die Haltung von Schirachs gegenüber der Entscheidung ist bald klar und pro assistierte Sterbehilfe, darauf weist auch die Reihung der Experten hin. Der Anwalt beweist als einzige Figur Humor und bringt auch die ZuhörerInnen im Saal oft zum Lachen, was stellenweise ein wenig an den Laughing-Track einer amerikanischen Sitcom der 90er erinnert: Hier wird um Sympathie gebuhlt.
Einzig der Bischof kommt überraschend mit Glaubwürdigkeit und Emotion auf das Level des von Lars Eidinger gespielten Anwalts. Die restlichen Figuren spulen Rollentext ab und werden rasch zu reinen Informationsträgern.

Die SchauspielerInnen sind allesamt bekannte Gesichter und vorrangig auf deutschen Bühnen tätig, was manchmal durch überdeutliche Aussprache in glasklarem Theaterdeutsch auffällt. Dieses Faktenwissen ist spannend und scheint gut recherchiert, so bietet der Film Infotainment als Ersatz für die Themenrecherche auf Wikipedia. Trotz des brisanten Themas gibt es aber wenige Momente für echte Emotion, hier werden Thesen verhandelt und keine Tränen verdrückt. Die trockene Ernsthaftigkeit von Schirachs Literatur bleibt und wie jene bringt der Film interessante Punkte auf und rüttelt zumindest kurz an der Meinung der Zuschauerin zur Thematik Sterbehilfe.

ORF-Auststrahlung ausständig

Der vom ARD in Koproduktion mit dem ORF und dem SFR gedrehte TV-Film hätte ursprünglich parallel zur deutschen Ausstrahlung auch auf ORF 2 laufen sollen, die anschließende Diskussion hätte von Peter Resetarits moderiert werden sollen. Doch ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und Programmdirektorin Kathrin Zechner entschieden sich "GOTT" nicht zum geplanten gemeinsamen Termin am Montag, dem 23. November 2020, auszustrahlen, sondern auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Begründet wurde dies mit der durch den Terroranschlag von Wien Anfang November und der allgemein schwierigen Situation auch aufgrund des zweiten Covid-Lockdowns: "Diese geballte gesellschaftliche Belastung verunmöglicht jenen Diskussionsraum, den dieses besonders wichtige Thema verdient und braucht." Diese Einschätzung stütze sich auf die professionelle Expertise aus den Krisenstäben des Landes.

Die Begründung von Wrabetz und Zechner erscheint aber insofern hahnebüchern, als der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) am 11. Dezember in seinem Erkenntnis die Strafbarkeit der "Mitwirkung am Selbstmord" (Paragraf 78 im Strafgesetzbuch) mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 aufgehoben hat. Der Straftatbestand der "Mitwirkung am Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, so das Höchstgericht. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zum Suizid ausnahmslos zu verbieten. Damit wäre dieser Entscheid in abetrachtet der "stark belasteten Gesellschaft" auch zum falschen Zeitpunkt publiziert worden. Andererseits verleiht dieser Entscheid dem Film zusätzliche Brisanz.

Ironischerweise trägt das erste Theaterstück von Schirach den Titel "Terror".

"Gott" ist noch bis 23.12.2020 online in der ARD-Mediathek zu sehen, der Theatertext ist als Buch im Luchterhand Literaturverlag erschienen.

Zum Film hier!!



Anwalt des Todes: Lars Eidinger vertritt Matthias Habich (Bild: Videostill)
Anwalt des Todes: Lars Eidinger vertritt Matthias Habich (Bild: Videostill)
Ulrich Mattes kennt man zumindest als Synchronstimme, er überzeugt als Bischof (Bild: Videostill)
Ulrich Mattes kennt man zumindest als Synchronstimme, er überzeugt als Bischof (Bild: Videostill)
Die Cast wurde von Deutschlands bekanntesten Bühnen herunter und vor die Tv-Kamera geholt (Bild: Videostill)
Die Cast wurde von Deutschlands bekanntesten Bühnen herunter und vor die Tv-Kamera geholt (Bild: Videostill)