re.act.feminism #2 - a performing archive

Während der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) hängt sich Letícia Parente an ihren Schultern in einem Kleiderschrank auf (In, 1975), injiziert sich vier Spritzen gegen "kulturellen Kolonialismus", "Rassismus", "Politische Mystifikation" und "künstlerische Mystifikation" (Preparation II, 1975), und näht mit Nadel und Faden die Worte "Made in Brazil" in ihre Fußsohle ("Marca Registrada", 1975).

Erheiterung und Bestürzung erregt Melati Suryodarmo in "Exergie-butter-dance", 2000, wenn sie versucht, auf Butterstücken zu tanzen und immer wieder schwer stürzt. Esther Ferrer hält einen Vortrag über Theorie und Praxis in der Performance Kunst: aber bis auf den Begriff "Performancekunst" ist kein Wort laut artikuliert. Hinter ihrem Pult gestikuliert sie, nimmt frühere eigene Performances mit auf, die im Verlauf durchgeführt und ohne Worte zu sprechen erklärt werden. Ihre ernste Haltung entwickelt eine Absurdität, die das Publikum zum Lachen bringt und zur Reflexion über Zeit und Raum in der Performancekunst aufruft. ("El arte de la performance: teoria y practica", 2001)

Dies sind nur einige Beispiele, die in der Ausstellung "re.act.feminism #2 - a performing archive" vom 22. Juni bis 18. August 2013 in der Akademie der Künste, Berlin zu sehen sein werden. Das seit 2008 bestehende Projekt "re.act.feminism" zeigt feministische, genderkritische und queere Performance-Kunst in seinem performing archive. Neben Werken aus den 1960er/1970er bis in die frühen 1980er Jahre wird das Archiv durch zeitgenössische Arbeiten mit Bezug auf die historischen erweitert. Die Filme und Fotografien von 180 Künstler_innen und Kollektiven werden von Texten, Interviews und Manifesten ergänzt.

In den 1960er und 1970er Jahren als eigenständige Kunstform entstanden, steht Performance für eine künstlerische Praxis der Grenzüberschreitung und des Experimentes, die sich gegen eine formalistische, auf das Kunstobjekt und auf Vermarktung ausgerichtete Kunst wendet und stattdessen den Körper und die (alltäglichen) Handlungen von Künstler_innen und Publikum zum Gegenstand hat. Sie befindet sich damit an den Schnittstellen von Gesellschaft, Politik und Kunst.
Der Fokus des Archivs liegt auf Arbeiten aus Ost- und Westeuropa und den USA sowie ausgewählten Positionen aus den Ländern Lateinamerikas, dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten.

Wesentliches Ziel ist es, international verstreute und schwer zugängliche Performance-Dokumente erstmalig in diesem Umfang der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sowie den generationsübergreifenden und transkulturellen Dialog zu befördern. In dem Archiv sind Werke von Ikonen der Performance-Kunst wie Yoko Ono, Marina Abramović und Ana Mendieta, und auch von weniger bekannten Künstlerinnen wie Birgit Jürgenssen, Nisrine Boukhari oder Mónica Meyer. In fünf mobilen Holzmodulen, einem Archivkabinett mit vier Abspielstationen untergebracht, war das Archiv von 2011 bis 2013 in Vitoria-Gasteiz, Danzig, Zagreb, Roskilde, Tallinn und Barcelona zu sehen, wo es jeweils um weitere künstlerische Arbeiten ergänzt wurde. Das Projekt mündet nun in die Präsentation des Gesamtarchivs in der Akademie der Künste, Berlin.

An den bisherigen Stationen wurde das Archiv auf je unterschiedliche Weise präsentiert und durch Ausstellungen, Live-Performances, Film-Vorführungen, Vorträge, Lesungen und Screenings sowie durch laufende Recherchen der Partner und wissenschaftliche Kooperationen ergänzt. So realisierte Linda Valdés, zuständig für die öffentlichen Programme der Fundacío Antoni Tàpies, im Rahmen der Ausstellung in Barcelona einen "open space" für die lokale Szene, die eigene Arbeiten im Dialog mit dem re.act feminism Archiv weiterentwickeln konnten. Das Archiv wurde so zu einer wichtigen Quelle für Künstler_innen, Wissenschaftler_innen und Lehrende der Universität Barcelona, die z.B. ihre Lehrveranstaltungen in der Ausstellung abhielten.

In Berlin werden nun die Forschungsergebnisse zusammengeführt; ein zweisprachiger Katalog (Englisch-Deutsch) wird das gesamte Projekt dokumentieren. Die Herausforderungen der Archivierung von Performance-Kunst sowie die erweiterte Geschichtsschreibung von Performance und feministischer/queerer Kunst sind zentrale Themen der Publikation. Auf ca. 300 Seiten werden neben einführenden Texten die teilnehmenden Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen in ihren Beiträgen Einblicke geben in die spezifischen Performance-Strategien der von ihnen vorgeschlagenen Künstler_innen. Erscheinungstermin ist voraussichtlich der 8. August 2013.

re.act.feminism #2 - a performing archive
22. Juni bis 18. August 2013