Rauch-Zeichen

Der Brite John Stezaker (geb. 1949) hat sich früh entschieden, der vorhandenen Bildwelt keine weiteren Bilder mehr hinzuzufügen, sondern mit gefundenem Material zu arbeiten – mit dem, was er in Katalogen, Büchern oder Magazinen, als Albumbildchen, Post- oder Autogrammkarten bereits vorfindet. Diese Abbildungen schneidet er auseinander und fügt sie im Collageverfahren zu neuen Konstellationen zusammen.

Was als Vorgehensweise zurückgenommen und vergleichsweise simpel anmutet, legt eine erstaunliche inhaltliche Vielschichtigkeit offen: Ursprüngliche Bedeutungszusammenhänge und Narrationsstränge werden aufgelöst und neue Bildräume durch die Kombination, Drehung oder Hinzufügung von Elementen geschaffen, die ursprünglich nie zusammengedacht waren, nun aber erstaunlich exakt ineinander greifen. Seinen künstlerischen Ansatz beschreibt Stezaker selbst als den Versuch, "Dinge ernst zu nehmen, die gewöhnlich nicht ernst genommen werden". So thematisieren seine fragilen Kleinformate z.B. Genderfragen, den Gegensatz von Realität und Schein, das surrealistische Interesse an ausrangierten Gegenständen, den Versuch, eine durch Bilderfluten ausgelöste kulturelle Amnesie zu unterlaufen, die Vielfalt von Möglichkeiten, die allen Dingen zugrunde liegt, oder die Brüchigkeit des scheinbar Gegebenen.

Seit Mitte der 1970er Jahre verfolgt John Stezaker konsequent seine künstlerische Haltung der Dekonstruktion und Neuaufladung vorgefundener Bildquellen. Bereits früh als wichtiger Vertreter der zeitgenössischen britischen Kunst anerkannt und Partizipierender an wichtigen internationalen Gruppenausstellungen (z.B. Biennale Venedig, 1982), hat er dennoch lange keine breite Bekanntheit erfahren. Seit ein paar Jahren jedoch wird seine Arbeit zunehmend wahrgenommen und er immer wieder als wichtiger Einfluss für Künstler/innen einer jüngeren Generation benannt. Auf diese Weise schlägt sein Schaffen nicht nur eine Brücke aus den 1970er Jahren in die Gegenwart, sondern setzt sich auch im Denken junger Künstler/innen vermittelt fort. Die Ausstellung der GAK berücksichtigt dies, indem sie Werke von 1976 bis in die jüngste Gegenwart zeigt. Sie ist John Stezakers erste institutionelle Einzelausstellung im kontinentalen Europa seit 1979.

Mittelpunkt der Präsentation in Bremen bildet die in diesem Jahr entstandene Reihe der "Fumetti". In dieser Collageserie zerstört er die Einheit von S/W-Filmportraits aus einer vergangenen, glamourösen Hollywood-Ära, indem er die perfekt frisierten und geschminkten Gesichter von Schauspieler/innen aus Hitchcock-Klassikern zerteilt und mit denen anderer zu monströsen Zwitterwesen zusammenfügt, deren Kopfformen blasenartige Ausstülpungen annehmen und die die Perfektion ihrer Vorlagenbilder konterkarieren. Der Titel bezieht sich auf
eine italienische Comictradition, die sich mit den dunklen Seiten des Menschen in all ihren Spielarten beschäftigt. Die hier angedeutete assoziative Linie von Comicblasen zu Rauchwolken (ital. Fumato: Rauch) nimmt Stezaker in den Fumetti auf und demonstriert das Glamouröse und Perfekte als Flüchtiges – als Rauch, der nicht zu fassen ist, als Blase, die zerplatzen kann.

Um die Serie der Fumetti ranken sich die anderen Arbeiten der Ausstellung. Manchmal humorvoll, manchmal geheimnisvoll, manchmal unheimlich, aber immer spielerisch zelebrieren auch sie formal und inhaltlich die Themen "Rauch" und "Blase" als etwas "Nebulöses", "Nicht-Fassbares", "Vergangenes", "Sich-Auflösendes" oder "Abwesendes". So nimmt etwa die Serie "Sublimes" (1985-1995) Vorstellungen von der Idee des Erhabenen auf und unterläuft sie: Scheinbar an traditionelle Darstellungen des Sublimen als Nebel oder Wolken in der Natur anknüpfend, zeigen sie formatfüllende weiße Formationen. Die durch den Anschnitt am unteren Bildrand sichtbaren Schornsteine jedoch entlarven die Verballungen als Rauchschwaden. Ideen der Erhabenheit werden hier mit Sinnbildern territorialer und industrieller Eroberung kombiniert – wie die Dampflokomotiven, die einst den Wilden Westen erschlossen, oder die Schornsteine der industriellen Revolution – und durch die Aufschlüsselung als Luftverunreinigung nachhaltig in Frage gestellt.

Die "Muses" von 2008 wiederum knüpfen den Faden formal fort, indem die dort collagierten Schauspieler/innenportraits Pfeifen in ihren Mündern haben und somit selbst zu "Rauchproduzent/innen" werden. Die Gestalt der "Bubbles and Moons" (1987-2008) dagegen umfassen die Darstellungen in ihrem Zentrum, als wollten sie jeden Moment zerplatzen und jene damit auflösen – oder sie zumindest in eine weit entfernte Existenz auf dem Mond transferieren. Die Arbeiten von "Tears" formulieren wiederum das Abwesende in den weißen Flächen, die Stezaker in Filmstillsequenzen ausgeschnitten hat, und die das Ausgesparte merkwürdig dominant in den Vordergrund rücken lassen – als konzentriere sich das Bildgeschehen ganz auf sie.

Und in der für Stezaker ungewöhnlich farbigen Serie "Red Yellow Blue" (2007) schließlich kombiniert der Künstler Seiten aus einem Buch über Blumengestecke mit Abbildungen eines britischen Kinderbuches der 1950er Jahre, in denen Bilder familiärer Heimeligkeit und klassischer Geschlechterzuschreibungen beschworen werden. Die Erinnerung an ferne Kindheitstage voll scheinbarer Harmonie und die Sehnsucht nach der Geborgenheit eines (mit Blumengestecken verzierten) Zuhauses werden hier auf eine Weise zusammengeführt, die durch die wechselseitige Verstärkung die Fragwürdigkeit des Ersehnten offen legt. Diese Potenzierung wird durch den Titel weiter geführt, der sich auf Barnett Newman’s epochemachendes Gemälde "Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?" von 1966 bezieht, und in dem dieser seine Ideen von bildimmanenter Harmonie formuliert.


Zur Eröffnung erscheint ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen, einem Gespräch zwischen David Lillington und John Stezaker sowie Texten von Barry Schwabsky und Janneke de Vries beim Verlag der Buchhandlung Walther König.

John Stezaker. Fumetti
30. August bis 9. November 2008