Radierung als "work in progress"

Gotthard Graubner gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Der 1930 in Erlbach im Vogtland geborene Künstler, der im Jahr 1968 an der documenta 4 und 1977 an der documenta 6 teilnahm, und Deutschland 1982 auf der Biennale in Venedig vertrat, wurde durch seine konsequent entwickelten "Kissenbilder" und "Farbraumkörper" international bekannt. Zentrales Thema seines Werks ist die forschende Auseinandersetzung mit Farbe und ihren Raum und Atmosphäre schaffenden Wirkungen. Farbe verwandelt sich nach der Auffassung des Künstlers in einen atmenden Organismus. Er fasst dies in die Formel: "Farbe = Verdichtung zum Organismus = Malerei".

Parallel zu seinen Gemälden entstanden seit frühester Zeit Arbeiten auf Papier. Graubners Aquarelle präsentierte die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe im Jahr 2001. Nun widmet sie seiner Druckgrafik eine umfassende Werkschau, die dadurch ihren besonderen Stellenwert erhält, dass die Kunsthalle über den derzeit umfassendsten Bestand an Unikat-Radierungen des Künstlers in einer öffentlichen Sammlung verfügt. Die 185 Blätter wurden im Jahr 2003 und 2007 für das Kupferstichkabinett angekauft und werden nun erstmals in einer Auswahl präsentiert. Diese Schau war für den Künstler ein Anlass, der Kunsthalle weitere 51 Blätter zu schenken.

Dass der Maler Gotthard Graubner sich seit 1969 kontinuierlich mit der Radierung befasst, mag auf den ersten Blick überraschen, da es sich bei diesem Medium um eine Gattung handelt, die primär aus der Linie hervorgeht. Graubners Radierungen hingegen operieren wesentlich mit flächig eingesetzter Farbe, deren Schichtungen – durch den Druck von mehreren Platten – Räumlichkeit erzeugen. Dazu dienen ihm neben der Ätzradierung die Drucktechniken Aquatinta und Vernis mou – ein Weichgrundverfahren, das besonders malerisches Arbeiten erlaubt. Indem der Künstler seine Platten jeweils variierend einfärbt, entstehen Unikat-Radierungen. Graubner versteht seine Kunst als Prozess und experimentiert fortgesetzt mit verschiedenen Farbklängen, die mitunter zu subtil differenzierten Serien von Monoprints führen.

Neben der Erscheinung der Farbe spielt die Ästhetik des Papiers für den Künstler eine zentrale Rolle: Graubner bearbeitet seine Platten mit Pinsel und Stoffballen und druckt auf ausgewählten Bütten- und Japanpapieren. Die Ausstellung präsentiert die verschiedenen Werkgruppen seit 1969 in chronologischer Folge bis heute. Zu Beginn des Œuvres dominieren in diesen Blättern Schwarz-Weiß, dunkle Erdtöne und klar abgegrenzte Kissenformen, die im Zentrum des Blattes platziert werden. In den 1970er Jahren wendet sich Graubner dem Vernis mou zu. In Auseinandersetzung mit dem Akt schafft er monochrome Abdrücke von seinem Bauch, seinen Händen und Füßen. Er widmet sich damit sowohl motivisch, als auch auf der Materialebene – über die dünnen, fast transparenten Papiere – dem Thema Haut und Organismus.

In den 1980er Jahren – dies ist ein neuer Aspekt seines Schaffens – nehmen häufig Papierfaser und radierte Linie einen spielerischen Dialog auf. Seit den 1990er Jahren nähern sich die großformatigen Monoprints und Monotypien seiner Malerei an. Strahlend helle Leuchtfarben ergänzen seit 2000 sein Farbrepertoire. Graubner, der von 1947 an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin und die Dresdner Kunstakademie besuchte, verließ 1954 die DDR und ging an die Düsseldorfer Kunstakademie. Im Jahr 1969 wurde er als ordentlicher Professor an die Hochschule für Bildende Künste Hamburg berufen, 1976 übernahm er einen Lehrstuhl für Freie Malerei an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf.


Die Ausstellung gibt Einblick in einen noch wenig bekannten, gleichwohl äußerst bedeutenden Teil des künstlerischen Werkes von Gotthard Graubner. Es erscheint ein Katalog (Kehrer Verlag) mit Beiträgen von Dorit Schäfer und Nina Trauth, der den gesamten Bestand der Druckgrafik Gotthard Graubners in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe erschließt.

Gotthard Graubner – Radierungen
13. Juli bis 28. September 2008