Punktscharf aufgepoppt

Das Feuilleton kann oft wie ein Seismograf gelesen werden, besser noch als die stärker gefilterten Artikel im Wirtschaftsteil oder die plump propagandistischen der Politik. Hier drückt sich das Ideologische "gebildeter" aus, hier sind die Stereotypen versteckter, hier wird Offenheit inszeniert.

"Die Literatur junger Autoren ist in der Problemwelt angekommen." Wo war sie denn vorher, unterwegs? Und bleibt sie jetzt, da sie angekommen ist? Wird sie dadurch selbst problematisch?. Ein neuer Kult des Realismus, diesmal nicht der sozialistische, greift um sich. "Die Sprache nutzen und Bilder entwerfen, in denen möglichst viel Realität eingefangen ist." Die realitätsnahen und -gerechten Jungmeister "nutzen" die Sprache und fangen Realität ein, die sie in ihre Sprache verpacken. Na prima! Was wollen Realisten mehr?

Und worüber schreiben die Realisten? Über "Alte, Einsame, Frauen mit Säuglingen oder anderen Schutzbefohlenen, denen die Kraft zum Überleben genommen wird." Fein, denen wird der Realismus der Realitäteneinfanger sicher helfen. Sind die Armen etc. doch "Gegenstand anrührender Texte" von Jungautoren, "denen die Bild-gestählte Gesellschaft aus Gaffern und Kommentatoren des Elends offenbar auf die Nerven geht." Ja dann -. Die Jungen fangen also Realität ein, kommentieren aber nicht, sind anrührend in ihren Texten, liefern aber keinen "naturalistischen Abklatsch". Ihr Realismus ist anders als Naturalismus. Er ist einer höheren Grades. Er ist Ausdruck einer Gebrauchskultur. Die kennt keine "Fälle" mehr, kein Engagement. "Eine überfahrene Katze ist ein ebenso brauchbarer (!) Ansatz wie das Hobby, das zum Tunnelblick verführt". Na, das war ja zu vermuten, dass die Brauchbarkeit jener, die alles verwerten und gebrauchen, doch nicht alles verwerten und gebrauchen, sondern nur einiges, dieses aber gründlich, alten Mustern folgt.

Dieser "zupackend realistische Ansatz in der Prosa findet sein Pendant in einer multimedial aufgepoppten Lyrik". Hätte ich eigentlich wissen müssen. Das Wort allein genügt nicht. Es muss multimedial aufgepoppt werden. Aber dann klappt"s "als Gattung rhythmisch verkürzter Lichtpunkte aus Worten", die sich bestens in die Lichtmaschinerie der Clubbingtempel, Discos und renovierten Häuser der Begegnung, oder wie diese Betreuungsstätten für die Jungen und altgebliebenen Jungen heissen mögen, einpassen. Lichtlyrik. Verkürzt, aber realistisch. Brauchbar. (Der neue Lichtkult ist nicht zu verwechseln mit dem körperbewussten Gang ins Sonnenstudio, wo Angehörige der Erfolgsgeneration sich im "Prolotoaster" bräunen lassen.)

Von einem älteren renommierten Autor schreibt ein gebildeter Kritiker in einer Qualitätszeitung, dass sein Erinnern mit einer "schmerzenden Punktschärfe" versehen sei, weshalb er sich ihm kaum entziehen könne. Der Arme! Dennoch liefere er nicht nur "Mosaiksteine der Biografie", sondern "exakte Phantasmagorien eines Lebens". Wie unterscheidet der Präzise exakte und nicht exakte Fantasmagorie? Wie viele Prozentpunkte an Punktschärfe muss der Meister erreicht haben, dass seine Fantasmagorie als exakt gilt?

Oder soll ich das nicht so ernst nehmen? Einfach anders lesen, nämlich "Bild-gestählt"? Hat der Kritiker nur "aufgepeppt"? Das sei heute auch besonders bei Studenten üblich, die übers Internet durch einen Klick mal schnell der eigenen Kreativität auf die Sprünge helfen, wie ich kürzlich las. Was den Jungrealisten recht ist, sollte den Jungwissis nicht verschlossen bleiben: Aufpoppen und peppen. Man muss halt die Regeln beachten. Darf nicht übertreiben. Weder als Realist, noch als realistischer Pepper. Ein kleiner Fehler, und letzterer wird zum Plagiator. Aua, Das könnte sich zu einem Problem entwickeln, falls man nicht verständige Erklärer zur Hand hat, wie Pepper Hahn, schon wieder Wissenschaftsminister in Österreich, dem der Dekan betulich-väterlich (er war ja sein Doktorvater) nur vielleicht eine Form von Schlampigkeit bescheinigte, aber keinesfalls Peppertum als Plagiieren.

Die Zeiten könnten härter werden für Pepper und Popper. Aber das gäbe den Jungrealisten mehr Stoff, über den Kritiker punktscharf sich auslassen könnten. Der Kreislauf bliebe in Gang und alles wäre in Butter. Mahlzeit.