Preston Sturges - Ein Meister bissiger Gesellschaftskritik

7. Juni 2010 Walter Gasperi
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Wie kein anderer US-Regisseur der 30er und 40er Jahre knüpfte Preston Sturges an die Stummfilmtradition von Charlie Chaplin, Buster Keaton und Harold Lloyd an. Bissig übte er nicht nur an der US-Gesellschaft Kritik, sondern auch am Kino selbst.

Als Sohn wohlhabender Eltern in Europa erzogen, wurde der 1898 in Chicago geborene Preston Sturges schon mit 16 Jahren im französischen Deauville Manager einer Filiale der Kosmetikfirma seiner Mutter. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte er in die USA zurück, begann ab Mitte der 1920er Jahre Drehbücher für Broadway-Shows und ab 1930 Filmdrehbücher zu schreiben. Mit seinem Gespür für geschliffene und elegante Dialoge wurde er rasch zu einem der gefragtesten Autoren für Screwball-Komödien wie Mitchell Leisens "Easy Living" (1937) und "Remember the Night" (1940).

Mit der Politsatire "The Great McGinty" wechselte er 1940 höchst erfolgreich auf den Regiestuhl, denn diese Satire auf das amerikanische Geschäft mit der Politik, die gleichzeitig eine Parodie auf Frank Capras "Mr Smith Goes to Washington" (1939) ist, wurde begeistert aufgenommen. Auch mit seinem nächsten Film "The Lady Eve" (1941) parodierte er einen Film Capras, im Konkreten die Querelen eines jungen Paares und die Schlafwagenszenen in "It Happened One Night" (1934). Während Capra freilich an das Gute im Menschen glaubt und dieses letztlich siegt, übt Sturges vernichtende Kritik an falscher Emanzipation der Amerikanerinnen und Vertrottelung der Männer.

In diesem gesellschaftskritischen Impetus sind diese Komödien direkte Vorläufer der Werke Frank Tashlins und Jerry Lewis. Mit seinem sicheren Gespür für komisches Timing, witzigen Dialogen und brillanten visuellen Gags schuf er perfekte Unterhaltung, machte aber gleichzeitig mit seiner genauen Beobachtungsgabe Missstände sichtbar.

Mit dem Glauben, dass man mit sozialkritischen Filmen das Publikum erziehen könne, räumt er in "Sullivan´s Travels" (1941) zwar einerseits gehörig auf, bietet gleichzeitig aber doch einen in seinem Realismus erschütternden Einblick in das Leben der amerikanischen Obdachlosen. Bissig wird hier Kritik am Kino geübt, wenn ein Regisseur zu Feldstudien für einen sozialkritischen Film sich unter die Hobos begibt, am Ende aber erkennen muss, dass ein weltfremder Zeichentrickfilm, der die Zuschauer zwei Stunden ihre triste Situation vergessen und sie lachen lässt, mehr bewirken kann als die Schilderung des Elends.

An der Demontage amerikanischer Mythen hat sich Sturges, den der amerikanische Kritiker Andrew Sarris einmal als "Breughel der amerikanischen Komödienregisseure" bezeichnete, richtig abgearbeitet. Das Motiv der idyllischen Kleinstadt nahm er in "The Miracle of Morgan´s Creek" (1943), in dem eine Frau, die Fünflinge zur Welt bringt, zur Nationalheldin aufsteigt, ebenso aufs Korn wie in "Hail the Conquering Hero" (1944), in dem ein grenzdebiler Schreibstubensoldat als Kriegsheld gefeiert wird.

Unsentimental, nah am Ernst, teilweise sogar bitter und entlarvend sind diese Komödien. Doch auch wenn Sturges Blick auf seine Protagonisten vielfach äußerst bissig und kritisch ist, so machte er sie dem Publikum nicht zuletzt dank der Besetzung mit Stars doch sympathisch.

Nur kurz hielt aber der Erfolg dieses brillanten Gesellschaftskritikers an, schon 1945 hatte er den Höhepunkt seiner Karriere überschritten. Bald ließ der Publikumserfolg seiner Filme nach und das Überziehen von Budgets und Zeitplänen machte ihn für Produzenten zum finanziellen Risiko. Nach mehrjähriger Untätigkeit verließ er Amerika, ging zunächst nach England, dann nach Frankreich, wo er 1955 mit "Les carnet du Major Thompson" seinen letzten Film drehte. Nach seiner Rückkehr in die USA starb Preston Sturges am 6. August 1959 völlig verarmt nach einem Herzanfall in New York.