Pracht und Alltag im zweiten Rom

Gold, Silber, Seide, Elfenbein, Reliquien – um diese kostbaren Besitztümer wurden das Byzantinische Reich im Westen beneidet. Doch die Bedeutung des christlichen Oströmischen Reiches geht weit über seine Schätze hinaus. Hier lebte die Antike ungebrochen bis in das Spätmittelalter fort. Hier bewahrte man antike Tradition und Gelehrsamkeit, hier wurzelt das westliche Rechtssystem.

Byzanz schlug die Brücke vom Altertum zum modernen Europa und verband zugleich Ost und West. Das europäisch geprägte Byzanz hatte Verbindungen in den Nahen Osten und über die Seidenstraße bis nach China. In der orthodoxen Kirche leben byzantinische Rituale bis heute fort.

Mit mehr als 600 Exponaten, zusammengestellt aus bedeutenden Sammlungen und Grabungen, wird die Ausstellung "Byzanz. Pracht und Alltag" die Geschichte, Archäologie und die Kunst des Byzantinischen Reiches von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Als weltweit einzige Ausstellungsstation bietet sie einen Überblick über das "Byzantinische Jahrtausend" (Gründung Konstantinopels durch Konstantin den Großen im Jahre 324 bis zur Eroberung durch die Osmanen 1453), konzentriert sich aber vor allem auf die Blütezeit des Reiches von der Zeit Justinians I. (reg. 527–565) bis zur Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204). Besonderes Merkmal der Ausstellung in der Bundeskunsthalle, in Abgrenzung zu anderen derzeit laufenden Ausstellungen gleicher Thematik, ist dabei die Gegenüberstellung von Exponaten der Pracht- und Alltagsdarstellung.

Die Hauptfragen der byzantinischen Staatlichkeit, der byzantinischen Kunst und Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft, des byzantinischen Militärs sowie des Alltaglebens werden anhand von realen "Schauplätzen" bildlich und anschaulich behandelt. Computeranimationen und Kurzfilme führen die Besucher zu den wichtigsten Plätzen des Byzantinischen Reiches: Konstantinopel, Ephesos, Thessaloniki, Pergamon, den Simeonsberg bei Aleppo oder das Katharinenkloster auf dem Sinai. Die Ausstellung wird eine Leistungsschau der Disziplinen sein, die um ein Verständnis der byzantinischen Kultur bemüht sind und so einen Beitrag zum Verständnis der Gegenwart leisten: vor allem der Byzantinistik, der Kunstgeschichte und der Archäologie.

Die Antike hat Europa geprägt. Die Weise, in der dies geschah, unterscheidet den Westen Europas deutlich vom Osten. Die Umbrüche der Völkerwanderungszeit mit der nachfolgenden Gründung barbarischer Königreiche auf weströmischem Gebiet haben die Entwicklung der mediterranen Zivilisation weitgehend zum Stillstand gebracht. Es war die Kirche, die das Erbe der Griechen und Römer verwaltete, es waren bewusste Rückgriffe auf die Zeit Konstantins durch die Karolinger und die mächtige Renaissance ab dem 14. Jahrhundert, welche die Errungenschaften der Antike in die Moderne trugen.

Anders im Osten: In Konstantinopel blieb die griechisch-römische Welt in ihrer christianisierten Form dauerhaft lebendig. Die führenden Kreise betrachteten sich als die Erben Griechenlands und Roms und waren sich stets der antiken Vergangenheit bewusst, aus der sie schöpften. Im Laufe der Jahrhunderte vollzog sich eine Anpassung an neue Bedürfnisse. Etwa parallel zum Aufstieg der Ottonen wurde auch Byzanz zu einem mittelalterlichen Staat, doch wesentliche Elemente römischer Zivilisation bestanden fort: Das literarische und wissenschaftliche Erbe wurde in gelehrten Zirkeln und den Skriptorien der Mönche bewahrt, das Reich blieb urban und zentralistisch strukturiert.

Auch in schwierigen Phasen der byzantinischen Geschichte blieb das einheitliche Steuersystem und das Geldwesen erhalten, der überregionale Handel sicherte die Versorgung der Städte. Hochwertige Güter wie Seidenstoffe und kunstvolle Emailarbeiten waren international begehrt. Der Beitrag des Byzantinischen Reiches zum modernen Europa ist weitaus bedeutender, als uns bewusst ist. Indem sich Konstantinopel gegen die arabische Expansion behauptete, konnte sich das mittelalterliche Abendland fortentwickeln. Die Christianisierung von Südost- und Osteuropa, der Balkanländer, der Ukraine und von Russland erfolgte von Byzanz aus. Byzantinischen Missionaren ist die kyrillische Schrift zu verdanken.

Die erhaltenen Quellen verhalten sich umgekehrt proportional zur Bedeutung des Byzantinischen Reiches für die europäische Geschichte. Die Historiker können nur auf verhältnismäßig wenige Schriftquellen zurückgreifen; von den einstmals reichen Archiven sind nur Fragmente erhalten. Erschwerend hinzukommend ist, dass von den prächtigen Palästen und öffentlichen Bauten kaum mehr etwas vorhanden ist. Im Wesentlichen sind es einige Kirchen und ihre Ausstattung, die von der Größe des letzten antiken Staates im Mittelalter berichten. Umso wichtiger sind die archäologischen Forschungen, deren Methoden ständig weiterentwickelt werden.

Erst in den letzten Jahrzehnten hat man speziell dem täglichen Leben der breiten Bevölkerung von Byzanz besonderes Augenmerk geschenkt. Neue Forschungsergebnisse tragen dazu bei, die Erkenntnisse aus allen Regionen in einen größeren Kontext zueinander stellen zu können. An vielen dieser Unternehmungen sind deutsche und österreichische Institutionen beteiligt oder gar federführend.

Byzanz: Pracht und Alltag
26. Februar bis 13. Juni 2010