Posttraumatische Chropfleerete

14. November 2011 Kurt Bracharz
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Als nicht mehr zu übersehen war, dass sich die Schlinge um den Gaddafi-Clan zuzog, fingen im deutschsprachigen Feuilleton Polizisten an, aus dem Nähkästchen zu plaudern, mit Geschichten, die Gaddafi-Söhne betrafen, welche sich in europäischen Ländern aufgeführt hatten wie die Axt im Walde.

Der Münchner Polizeipräsident etwa hatte Saif Gaddafi mit dem Finger gedroht, als sich dessen illegale Waffeneinkäufe bis ins Präsidium durchgesprochen hatten, während Saifs Benehmen im Münchner Nachtleben bis auf Andeutungen weiter mit dem Mantel des Schweigens bedeckt blieb. In Österreich mit seinen renommierten Waffenfabriken wurden eventuelle Kaufgelüste von Saif allerdings ebenso wenig zum Pressethema wie seine enge Freundschaft mit Haider.

In der von Muammar al-Gaddafi besonders gebeutelten Schweiz (er forderte ja bei der UNO ihre Auflösung) ist jetzt ein vielsagendes Detail bekannt geworden, als der FDP-Regierungsratspräsident François Longchamp der SP-Bundesrätin Calmy-Rey in der "Tribune de Genève" und auf RTS vorwarf, während der Geiselkrise im Mai 2010 von der Kantonsregierung verlangt zu haben, in der Angelegenheit der Genfer Verhaftung von Gaddafi-Sohn Hannibal und dessen Frau Aline wegen Misshandlung von Angestellten im Juli 2008 durch harte Sanktionen ein Exempel zu statuieren. Und zwar – man errät es kaum, wenn man bisher an eine relative Sauberkeit der biederen Schweizer Politik geglaubt hat – an den Polizisten, welche die Verhaftung des Ehepaares vorgenommen hatten! Die Kantonsregierung hielt dem Druck der Außenministerin stand, die erklärte, ein libyscher Emissär habe ihr die sofortige Freilassung der Schweizer Geiseln versprochen, wenn die Polizisten hart genug bestraft würden.

Weil Longchamp auch noch im TV über den Genfer Gaddafi-Anwalt Charles Poncet sagte, es sei unerträglich, wenn ein Ex-Nationalrat und Offizier der Schweizer Armee sein Land verrate, schrieb die NZZ, eine "posttraumatische Chropfleerete (Kropfentleerung)" sei zwar unerfreulich, aber menschlich.