Für ihre Ausstellung "Portraits and Other Cognitive Exercises 2001–2012" in den Räumen von BAWAG Contemporary überprüfen Clegg & Guttmann ihr exemplarisches Werk aus der Perspektive der Gegenwart. Einer Auswahl des seit dem Jahr 2001 kontinuierlich entwickelten Werkblocks der Cognitive Exercises stellen sie frühe und aktuelle Beispiele ihrer unwiderstehlich attraktiven Portraitfotografie gegenüber. Das Ergebnis ist ein visuelles und ein inhaltliches Stretching zwischen Kargheit und Opulenz, zwischen Glamour und Diskurs.
Ein heimliches Bezugssystem verbindet die unterschiedlichen Genres. Fotografie, Skulptur, Installation und Video sind Techniken, die Clegg & Guttmann einsetzen. Ihre künstlerische Methode reicht von klassischer Objektproduktion zur Performance, sie interessieren sich für Soziologie und das Alltagsleben ebenso, wie für Wissenschaft und Philosophie. Wenn sie innerhalb ihrer Praxis individuelle Kategorien mit so anschaulichen Titeln wie Community Portraits, Social Sculptures oder Spontaneous Operas etablieren, geht es immer darum, das Thema Portrait mit verschiedenen Mitteln zu untersuchen.
Clegg & Guttmann entwerfen Modelle für Kommunikation, Kollaborationen und Beteiligung an politischen und kulturellen Prozessen. Unter ihren Arbeiten sind viele an den Schnittstellen von Funktion und Funktionalisierung angesiedelt, oft herrscht ein strenges Regime intellektueller Begrifflichkeiten. Den erkenntnistheoretischen Konstruktionen stehen Werke zur Seite, die von Stimmungen, Gesten, Mimik und Körperhaltungen getragen sind, Werke, deren erzählerischer Gehalt aus der Zeit zu fallen scheint.
Der konzeptuelle Rahmen der Ausstellung umschließt drei wesentliche Felder ihrer Arbeit: Portraits, Bibliotheken und kognitive Übungen. Clegg & Guttmann ziehen konkrete Präsentationen der letzten Jahre heran, um das eigene Werk unter dem Gesichtspunkt einer Rekontextualisierung zu durchkämmen. Dafür verwenden sie ihre bereits aus dem Frühwerk bekannte Collagestrategie. Die Räumlichkeiten der BAWAG Contemporary haben Clegg & Guttmann zu einem Display angeregt, das optische Tatsachen den ästhetischen Begriffen und Theorien gegenüberstellt, die in die Objekte hineingelesen werden können.
Drei vertikal organisierte Bibliotheksskulpturen ("Sha"at"nez", 2004, "The Moebius Library", 2005, "La Libreria Piramidale", 2007) treffen auf die Rauminstallation "Falsa Prospettiva", 2001, ein sich in die Tiefe erstreckendes Trompe L"Oeil aus Bücherschränken. Clegg & Guttmann bezeichnen "Falsa Prospettiva" als eine "Knowledge Sculpture" mit der auf den Unterschied hingewiesen werden soll, der zwischen dem Sichtbaren und der dahinterliegenden Realität liegt. An "Sha"at"nez oder die verschobene Bibliothek", eine Collage aus Bücherregalen im Umfeld Sigmund Freuds, interessiert die Künstler der physische Ortswechsel von Büchern ebenso wie Freuds psychoanalytischer Begriff von Verschiebung bzw. Substitution.
Die Pyramide wiederum bezieht sich auf das Studiolo, die privaten Lesestuben der Renaissance und die Moebiusschleife auf jene aus der Topologie Lacans bekannte zweidimensionale Struktur, für die es eine Unterscheidung zwischen unten und oben bzw. innen und außen nicht gibt. Beide Skulpturen können als Ablagen "benützt" werden und funktionieren als Beispiele für Gemeinschaftsportraits und kollektives Gedächtnis.
Im Zentrum der Ausstellung steht der seit den 1980er Jahren wohl wichtigste Transmitter Clegg & Guttmanns: die Fotografie, das fotografische Portrait. Die Einzelbildnisse, Paare und vielfigurigen Gruppen gehören bis heute zum Aufregendsten, was dieses Genre zu bieten hat. Ihr Bezugsrahmen sind die ästhetischen Konventionen historischer Portraits und Gruppenbilder des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Niederländer von Frans Hals bis Rembrandt, die Italiener von Tizian bis Caravaggio sind das Referenzmaterial für einen Werkkomplex, der kollektive Strukturen, gesellschaftliche Gefüge und Machtverhältnisse mit dem Instrumentarium jener historischen Repräsentations- und Familienportraits inszeniert, die Personen in ein Umfeld stellt, das ihren kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergrund offenlegt.
Clegg & Guttmann kennen die Codes von Status, Einfluß und Kapital. Sie entwickeln einen Look für "Reich und Schön", eine Fiktion von dem, was in der Realität Wert, Wirkung und Anziehungskraft hat. Der Typus trägt fashionables Schwarz, die Männer weiße Hemden und dunkle Krawatten, die Damen effektvollen Schmuck und Juwelen.
Mit "Executives of the Steel Industry versus Executives of the Textile Industry" zeigen Clegg & Guttmann ein charakteristisches Bild der frühen Achtzigerjahre: Zwölf Männer sind in einem altmeisterlichen Dunkel aufgereiht. Eine starke Lichtquelle beleuchtet Gesichter, Hände und die weißen Hemden. Keiner lächelt oder sucht den Blickkontakt mit der Kamera. Zitate aus der Kunstgeschichte kommentieren die Darstellung im Hintergrund: Daumiers "Verspottung Napoleons III" und seine berühmte Karikatur "Après vous", die einen französischen und einen preussischen Soldaten zeigt, die sich gegenseitig den Vortritt lassen, um ihre Waffen niederzulegen.
Neben "Commissions", für die sich Sammler, Galeristen und Kuratoren ebenso gerne abbilden lassen, wie wohlhabende Diamantenhändler mit ihren Kindern (ein eigenes Kapitel sind die "Rejected Commissions"), entstehen Portraits fiktiver Auftraggeber: Clegg & Guttmann engagieren junge Kollegen aus ihrem Freundeskreis und Schauspieler, die immer wieder auftauchen. Kultfiguren aus dem East Village, wie der 2006 verstorbene Bill Rice, der in "Coffee & Cigarettes" von Jim Jarmusch spielte, und in Amos Poes Subwayriders, der Film, mit dem die Österreicherin Johanna Heer an der Kamera berühmt wurde.
Für die Ausstellung haben Clegg & Guttmann die wegweisende Arbeit "The History of Photography" ausgewählt. Rice tritt im grauen Anzug und schwarzer Krawatte weniger als Businessman sondern eher als Privatdetektiv aus dem Film noir auf, umweht von einem Hauch deutschem Expressionismus, erfüllt von existentieller Verbitterung. Die Collage aus einer Farbfotografie vor schwarz-weißem Hintergrund ist eine offensichtliche Referenz auf die Methoden und den technischen Fortschritt der Portraitfotografie. Wie im 19. Jahrhundert verwenden Clegg & Guttmann konkrete fotografische Hintergründe, kulissenhaft eingesetzte Fototapeten die Architekturfragmente wiedergeben und über diese Raumabbildungen Ambiente suggerieren. Clegg & Guttmann vergrößern die Fotos und montieren sie hinter ihren Modellen so, dass die Inszenierung, die Bühne deutlich wird: die Bahnen verdecken nur Teile des Raums, Papierkanten und aufgerollte Ecken geben das Verfahren preis.
Das historische Gebäude des YMCA Jerusalem, von Shreve, Lamb & Harmon, den Architekten des Empire State Building, 1933 errichtet, ist mit seinen eleganten Kuppeln, Bögen und verglasten Loggien, das Foyer der Hauptbibliothek der Columbia Universität, oder die Villa Rossi in der Toscana sind häufig verwendete Motive, die je nachdem, wie die Künstler sie einsetzen, anders gelesen werden können. Aus der Serie der "Collaborations", die ausschließlich mit KünstlerInnen eingegangen werden zeigen Clegg & Guttmann den Dandy und Anarchoästheten Martin Kippenberger im Proto-Margiela, mit avantgardistisch vom Anzug abgetrenntem Ärmel. Für Beispiele aus den späteren Austrian Portraits beziehen sich Clegg & Guttmann insbesondere auf Gustav Klimt und setzten Muster, Aluminiumfolie und Kupfer als Hintergründe ein.
Schließlich machen Clegg & Guttmann mit ein paar eindrucksvollen Querverweisen auf inhaltliche und visuelle Bezüge zwischen Fotografie, Skulptur und den Partizipationsangeboten der Cognitive Exercises aufmerksam. "The Bookworm" schließt mit seiner Spitzwegreferenz als zweidmensionales Werk bei den räumlichen Bibliotheksskulpturen an, "Cognitive Exercise II: The Constrained Brahms Quartett" stellt eine inhaltliche Verbindung her zwischen dem Handicap des blonden Jünglings auf der Fotografie "The Cripple" und der Aufführung des c-moll Streichquartetts von Johannes Brahms unter Zwangsbedingungen: die Musiker sind mit Stangen so aneinandergefesselt, dass individuelles Spiel unmöglich wird. Graffiti, wie auf "Cognitive Exercise III: Continuous Drawing" finden sich auf der Fotografie "Now That He Started", die eine Keith Haring gewidmete Zeichnung von Clegg & Guttmann in ihrem Loft in Chelsea zeigt.
Und so erschließt sich in der Ausstellung "Portraits and Other Cognitive Exercises 2001–2012" die innere Logik im Werk von Clegg & Guttmann. Die relationale Ästhetik einer Kunst zum Anfassen und Mitmachen der Cognitive Exercises, von den Künstlern vorgegebenen Handlungsanlässen, die das Publikum zu direktem Einsatz motivieren stehen in einem spannenden Verhältnis zu Werkmodus der Fotografie und ihrer Bildorganisation, Komposition und Lichtsemantik. Clegg & Guttmann verdichten ihren Werkbegriff, diskutieren Handlung im Stand-by und ordnen das Genre Portrait an der Schwelle von Performance und Installation ein. Brigitte Huck
Clegg & Guttmann
Portraits and Other Cognitive Exercises 2001-2012
12. April bis 10. Juni 2012