Popps Klassik

16. Januar 2013 Rosemarie Schmitt
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Geboren wurde sie wahrscheinlich im Jahre 1098, vor 915 Jahren also. Zu jener Zeit, da der Stuhl für’s Volk erfunden wurde. Bis dahin nämlich waren die Rückenlehnen nur den Ehrensitzen vorbehalten, doch nun konnte sich auch das Volk auf ihren Schemeln mal zurücklehnen, noch nicht viele, doch der Anfang ward getan. Außerdem zerstörten Dänen die Festung Jomsburg der Wikinger auf Wollin.

"Liber Scivias" ist nicht der Beginn eines Briefes an einen Herrn namens Scivias, sondern es handelt sich um Schilderungen von Visionen, prophetischen Geschichten und Bußmahnungen. Mit jenen Schriften erregte Frau von Bingen (um 1155) allerhand Aufsehen und Aufhören. Ebenso mit ihren naturwissenschaftlichen und medizinischen Aufzeichnungen, in denen sie die Heilwirkungen von Edelsteinen und Säften (der Viersäftelehre, also bereits ein Vorläufer von Rotbäckchen, welchen ich als Kind bekam, wenn ich krank war oder so tat als ob, um jenen gesunden und leckeren Saft zu bekommen).

Ungesund hingegen war die Einstellung des Arnold von Brescia, daß auch der Säkularklerus nach dem Vorbild der Mönche Besitzlosigkeit und Ehelosigkeit üben und auf jedwede politische Macht verzichten solle. Er wurde hingerichtet. Geboren hingegen wurde im nämlichen Jahr Dschingis Khan. 1178 wurde erstmals das Wort Weihnachten gebraucht ("wihe naht"). Ein Jahr später starb Hildegard von Bingen. In jenem Jahr als Heinrich der Löwe, der Herzog war, wegen Nichtteilnahme an den Zügen des Kaisers geächtet wurde und seine Herzogtümer Sachsen und Bayern verlor. Er starb im August des Jahres 1195, im Sternzeichen des Löwen.

Nur soviel zur Zeit, in der sie lebte, die Hildegard von Bingen. Sie wurde über 80 Jahre alt, und erreichte eine für jene Zeit sehr hohes Lebensalter. Ihre Heilmittel scheinen doch nicht so ohne gewesen zu sein. In der Zeit zwischen 1151 und 1158 verfaßte sie 77 liturgische Gesänge, die als Symphonia armonie celestium revelationum bezeichnet werden. Während Frau von Bingen sich ausschließlich den kirchlichen Klängen widmete, besangen die Minnesänger und Troubadoure die weltlichen Dinge.

15 jener vorhin genannten liturgischen Gesänge hat das weibliche Vocalensemble VocaMe auf CD aufgenommen. "Inspiration Hildegard von Bingen – Lieder und Visionen", so der Titel, der auf dem Label Berlin Classics (EDEL) veröffentlicht wurde. Die musikalische Leitung dieses Projektes übernahm Michael Popp, der sich bereits seit mehreren Jahrzehnten mit Alter Musik beschäftigt. In einem sehr interessanten Text (auf der Webseite des Ensembles VocaMe) schreibt er, daß Hildegard von Bingen noch als Kind in das Kloster in Disibodenberg eintrat, wo sie bis zum 43. Lebensjahr in Klausur lebte. Diese ganze Zeit über, beginnend schon im Alter von drei Jahren, hatte sie eigenen Angaben zufolge Visionen und Auditionen (in denen sie Musik hörte!), bis sie sich entschloß, die Klausur zu verlassen, ihr eigenes Kloster zu gründen und als Visionärin öffentlich in Erscheinung zu treten.

Was mir besonders an dieser Aufnahme gefällt, ist Michael Popps musikalische Begleitung des mehrstimmigen Gesanges mit Fidel, Harfe, Monochord, Ud, Dilruba, Santur oder Glocken. Für jene, denen daran gelegen ist, die Musik Hildegard von Bingens zu verstehen, liefert das Booklet die Übersetzung der Texte ins Deutsche und Englische. Für jene, die einfach nur die Musik genießen möchten, sich eigenen Auditionen hinzugeben bereit sind, und musikalische Zeitreisen lieben, ist diese klanglich herausragende Aufnahme eine Bereicherung.

Einem jener Leser (natürlich sind auch die weiblichen gemeint), der mir verrät wann Michael Popp geboren wurde (es gelang mir nicht, dies in Erfahrung zu bringen), werde ich das neue Album von VocaMe senden. Die Antwort bitte bis zum kommenden Mittwoch an klassik@habmalnefrage.de.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt