Poetisch und voll phantastischer Fabulierfreude: Filmland Georgien

Nicht nur wirtschaftlich und politisch wird die Kaukasusrepublik Georgien seit Erlangen ihrer Unabhängigkeit 1991 von einer schweren Krise erschüttert, auch kulturell scheint nichts mehr zu gehen. So gut wie lahmgelegt ist die georgische Filmproduktion, die in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine herausragende Stellung innerhalb des sowjetischen Kinos genoss. Das Internationale Filmfestival Innsbruck (28.5. - 2.6. 2013) ruft diese große Zeit des georgischen Kinos mit einer Filmreihe in Erinnerung.

"Seule, Géorgie" - Schon im Titel seiner 1994 von ARTE produzierten Georgien-Dokumentation weist Otar Iosseliani auf die traurige Lage der Kaukasusrepublik hin: Allein steht Georgien seit dem Zerfall der Sowjetunion vor Problemen, auf die es nicht vorbereitet war. "Alles wogegen wir gekämpft haben, ist jetzt vorbei. Doch was danach kam, ist noch schlimmer", sagt der georgische Filmregisseur Alexandre Rechwiaschwili.

Nicht mehr durch Zensur wird das Filmemachen heute eingeschränkt, aber durch die katastrophale wirtschaftliche Lage, die sich durch Bürgerkrieg und politisches Chaos noch verschlimmerte.(1) Über 80% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, für Bildung und Kultur gibt es kaum Geld, statt neue Filmprojekte zu verwirklichen, müssen mit den bescheidenen Förderungsmitteln teilweise bereits vor neun Jahren begonnene, aber mangels Finanzierung immer noch nicht abgeschlossene Produktionen vollendet werden.

Einen Einblick in die triste soziale Lage bot 2003 Julie Bertucelli in ihrer wunderbaren Tragikomödie "Depuis qu´Otar est parti - Seit Otar fort ist". Längst sind Regisseure wie Nana Djordjadze ("27 Missing Kisses") oder Dito Tsintsadze ("Lost Killers", "Schussangst") auf der Suche nach Produzenten in den Westen abgewandert, doch gleichzeitig bemüht sich das Land, das kleiner als Österreich ist, ausländische Produktionen mit dem Hinweis auf günstige, aber dennoch gut ausgebildete Arbeitskräfte und auf die vielfältige Landschaft, die von Halbwüsten bis zu subtropischen Regionen, vom Meer bis zu einer über 5000 Meter hohen Gebirgskette alles zu bieten hat, anzulocken.(2)

Ein leiser Aufbruch lässt sich in den letzten Jahren vielleicht dennoch ausmachen, denn immerhin siegten beim Wiesbadener Osteuropa-Filmfestival sowohl 2010 als auch 2013 Filme aus Georgien. Auch hier stehen aber immer triste Realitäten im Mittelpunkt, wenn Levan Koguashvili in seinem Sozialdrama "Auf der Straße" (2010) schonungslos vom Überlebenskampf eines Drogensüchtigen in Tiflis erzählt, und Nana Ekvtimishvili und Simon Groß in "In Bloom – Die langen hellen Tage" (2013) ein Coming-of-Age-Drama mit einer Schilderung der im Umbruch befindlichen georgischen Gesellschaft verbinden.

Auch beim heurigen Internationalen Filmfestival Innsbruck ist Georgien mit zwei aktuellen Produktionen präsent. In der Tragikomödie "Keep Smiling" erzählt Rusudan Chkonia von zehn Frauen, die an einem Schönheitswettbewerb für Mütter teilnehmen. Im Mittelpunkt von Rusudan Pirvellis "Susa" steht dagegen ein zwölfjähriger Junge, der sich mehr oder weniger selbst durchschlagen muss. Pirvelli zeichnet dabei ein hoffnungsloses Bild der georgischen Realität.

Im Gegensatz zu diesen düsteren Bestandsaufnahmen der Gegenwart stehen die visuell berauschenden und poetischen georgischen Produktionen der 1960er und 1970er Jahre. Filme von Otar Iosseliani, Tengis Abuladse, Georgi Shengelaja und Sergej Paradschanov, der freilich eher dem armenischen Kulturkreis zuzuordnen ist, wurden damals international gefeiert, während sie in Georgien mit der Zensur zu kämpfen hatten, Paradschanov sogar mehrfach mit Arbeitsverbot belegt und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurde.

Zu den unumstrittenen Meisterwerken der georgischen Filmkunst zählt Georgi Schengelajas Film über das Leben des Volksmalers Niko Pirosmanaschwili, der von 1862 bis 1918 lebte und unter dem Namen Pirosmani bekannt wurde. Mosaikartig rekonstruiert Schengelaia in "Pirosmani" (1969) die Lebensgeschichte des Malers, indem er zwei von den Gemälden Pirosmanis faszinierte Reisende den Spuren des Künstlers folgen lässt. Auf ihrer Suche stoßen sie nur auf wenige Zeugnisse, die sich bruchstückhaft zur Biographie des Malers fügen, der sich als Außenseiter am Rande der Gesellschaft bewegte und von allen vergessen war, als er starb.

Schengelaja kommt fast ohne Dialog aus und filmt die Pirosmani-Bilder nicht nur ab, sondern auch die Filmbilder folgen den Kompositionsprinzipien naiver Malerei vom flachen Raum bis zur virtuosen Nachahmung der Farbskala Pirosmanis, sodass er einen Zugang zur inneren Welt des Malers schafft. (3)

Nur im zermürbenden Kampf gegen die sowjetische Bürokratie konnte Otar Iosseliani seine Filme durchsetzen. Zehn Jahre wurde sein Debüt "April" (1962) für den Verleih gesperrt und bei "Es war einmal eine Singdrossel" (1971) wurde der ursprüngliche Titel "Ein alltäglicher Tag" von der Zensur nicht toleriert.

Schon in diesem frühen Werk sind Stil und Inhalt, die auch seine seit den 1980er Jahren in Frankreich entstandenen Filme wie "Les favoris de la lune" (1983) kennzeichnen, voll ausgeprägt. Wie einst Jacques Tati schildert Iosseliani lakonisch und mit dokumentarischer Beobachtungsgabe den jungen Gija, der eigentlich Orchestermusiker ist, aber daneben so viele Verpflichtungen privater Natur hat, dass er überall zu spät kommt. Von einer Anforderung des Alltags zur nächsten getrieben, bleibt dem jungen Charmeur, der vor lauter Überanpassung zum Unangepassten wird, keine Zeit für sich selbst.

Ein Bild des sowjetischen Alltags der späten 1970er Jahre zeichnet Lana Gogoberidse, die in "Einige Interviews zu persönlichen Fragen" (1978) von einer Journalistin erzählt, die ganz in ihrer Arbeit aufgeht, dabei aber die Krise in ihrer Ehe lange übersieht. (4)

In die Welt der kaukasischen Legenden taucht dagegen immer wieder Tengis Abuladse ein, der mit seiner bitterbösen Stalin-Satire "Die Reue" (1984) seinen größten internationalen Erfolg landete. Realität und Phantastik verbinden sich in Abuladses Werken, zu denen neben dem philosophischen "Das Gebet" (1968) auch "Der Baum der Wünsche" (1977) gehört, in dem vor dem Hintergrund einer Liebesgeschichte poetisch der Alltag in einem georgischen Dorf vor der Revolution geschildert wird.

Quellen:
(1) Fraller, Elisabeth, Filme aus Georgien, Wien 1997, S. 7
(2) Ketschagmadse, Nino, Humor ist, wenn man trotzdem Filme macht. Die Träume und Wirklichkeiten des georgischen Kinos. In: epd Film 9/01, S.24-29
(3) O.B. (= Oksana Bulgakowa), Pirosmani. In Koebner, Thomas (Hg.), Filmklassiker. Beschreibungen und Kommentare. Bd. 3. 1965-1981, Reclam, Stuttgart, 4. Aufl., 2002, S. 151 ff.; Gregor, Ulrich, Geschichte des Films ab 1960, Bd.4. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1983, S. 342
(4) http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=23924 (abgerufen am 9.5. 2013)
allgemein: Gregor, Ulrich, Geschichte des Films ab 1960, Band 4, Reinbek bei Hamburg, 1983, S.341-344