Die in Paris und Karlsruhe lebende Künstlerin Eva-Maria Lopez hat für den Kubus Subraum im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) eine Installation mit dem Titel "Phyto-Travellers" konzipiert. Dabei entwirft sie einen raumgreifenden Garten, der sich der Migrationsgeschichte sogenannter Neophyten widmet. Neophyten sind Pflanzen, die im Zuge kolonialer Expansion und botanischer Erkundung aus anderen Weltregionen eingeführt und hier angesiedelt wurden. Lopez liest die Welt der Botanik als Geschichte kolonialer Enteignung. So entsteht ein lebendiges Archiv, das die enge Verwobenheit von Natur- und Kulturgeschichte greifbar macht.
Als Christoph Kolumbus 1492 von seiner Reise in die „Neue Welt“ zurückkehrte, brachte er zahlreiche Pflanzen nach Europa mit – darunter Mais, Tomaten und Kartoffeln. Pflanzen, die seit dieser Zeit aus anderen Regionen der Welt bei uns eingeführt wurden, bezeichnet man als Neophyten, also „neue Pflanzen“.
Zunächst handelte es sich dabei vor allem um Nutzpflanzen, die im Zuge der Kolonialisierung gezielt verbreitet wurden, um sie weltweit gewinnbringend anzubauen. Später kamen Zierpflanzen hinzu, die von Forschern und sogenannten Pflanzenjäger:innen aufgrund ihrer Schönheit oder Exotik gesammelt und importiert wurden. In unseren Gärten erzählen Rhododendron, Kirschlorbeer oder Bambus nicht nur von globaler Pflanzenmigration, sondern spiegeln auch modische Strömungen und Ideale unterschiedlicher Epochen der Gartengestaltung wider. Und sie erzählen von den ökologischen Problemen, die Neophyten im Zeitalter des Klimawandels und des globalisierten Warenverkehrs mit sich bringen. Man nennt sie dann invasive Arten.
Mit der Reise über die Kontinente haben viele Pflanzen auch ihre Namen verloren – sie wurden durch ihre sogenannten Entdecker:innen im Westen neu benannt. Die Kamelie etwa, eine Pflanze aus der Teefamilie, wird in Asien seit Jahrtausenden als „Cha” oder „Chai” bezeichnet. Im 18. Jahrhundert erhielt sie in Europa jedoch den Namen „Camellia“ – benannt durch den schwedischen Naturforscher Carl von Linné zu Ehren des Jesuitenpaters Georg Joseph Kamel. In kulturhistorischer Perspektive zeigt sich somit die Geschichte der Neophyten nicht nur als transkontinentale Geschichte botanischer Migration; ihr ist zugleich auch die Kolonialgeschichte unaufhebbar eingeschrieben – als Akte symbolischer Gewalt der Aneignung des Fremden.
„Phyto-Travellers“, das für das ZKM | Kubus Subraum neu konzipierte Projekt der in Paris und Karlsruhe lebenden Künstlerin Eva-Maria Lopez, stellt diesen Aspekt der kulturellen Aneignung und Domestizierung von Pflanzen aus anderen Weltregionen und Kulturkreisen in den Mittelpunkt. Lopez’ Installation besteht aus jenen zugereisten und neu benannten Zierpflanzen, die inzwischen so tief in unseren Gärten verwurzelt sind, dass sie meist als einheimisch wahrgenommen werden und das vertraute Landschaftsbild wie selbstverständlich mitprägen. Die Künstlerin reproduziert mit ihrer Arbeit im Maßstab 2:3 die Grundform der „Niña“, eines der Schiffe aus Kolumbus’ Flotte, die die ersten „neuen Pflanzen“ nach Europa brachten. Auf Transportpaletten aufgesockelt, entsteht so ein Innenraumgarten aus Neophyten, der das botanische Erbe einer globalisierten Pflanzenwelt aufruft. Auf der Glasfassade des Kubus werden hingegen die ursprünglichen, indigenen Bezeichnungen der Pflanzen genannt. „Phyto-Travellers“ wird so zu einem lebendigen Archiv, das die enge Verwobenheit von Natur- und Kolonialgeschichte mit erzählerischer Geste zur Darstellung bringt.
Eva-Maria Lopez lebt und arbeitet in Paris und Karlsruhe. Sie studierte Agrarwirtschaft in Kassel sowie Bildende Kunst an der Staatlichen Akademie der Künste Karlsruhe. Die Pole ihrer Ausbildung spiegeln sich in ihrer interdisziplinären und konzeptuell geprägten künstlerischen Arbeit wider: Lopez arbeitet vor allem mit Pflanzen und ihren Ökosystemen in den Medien Fotografie, Augmented Reality und Installation. Dabei rücken Fragen der Biodiversität und des Zusammenspiels zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren sowie die damit einhergehenden historischen und gesellschaftlichen Kontexte in den Fokus ihres Interesses. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei genderspezifischen wie auch kolonialgeschichtlichen Fragestellungen. Eva-Maria Lopez ist Mitbegründerin der Organisation „NAIA – Natural and Artificial Intelligence Association“.
Eva-Maria Lopez: Phyto-Travellers
Bis zum 26. Oktober 2025