Physiognomie der Macht
Die Doppelausstellung widmet sich in einer umfassenden Gegenüberstellung dem Werk des deutschen Filmemachers Harun Farocki (1944 Nový Jičín, CZ – 2014 Berlin, DE) und der österreichischen Grafikerin und Malerin Florentina Pakosta (1933 Wien, AT).
Während Farocki zu den wichtigsten Dokumentarfilmern und Medienkünstlern Deutschlands ab den 1970er-Jahren zählt, ist Pakosta eine der zentralen Figuren der feministischen Avantgarde in Österreich. Die beiden Künstler_innen stehen in ihren Arbeiten für einen Realismus, der sich aus Themen und Anliegen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. So unterschiedlich die Medien der beiden Künstler_innen auch sind, so sprechen ihre Arbeiten durch die zutiefst politische Dimension doch vergleichbare Sprachen. Im Mittelpunkt stehen dabei oftmals Formen von Machtausübung und Machterfahrung.
Die Ausstellung stellt einen Dialog zwischen Farockis und Pakostas Arbeiten her und setzt dabei die oft scharf voneinander abgegrenzten Medien Film und Video einerseits sowie Zeichnung und Malerei andererseits zueinander in Beziehung. Aus der Verbindung dieser beiden Welten entsteht eine Spannung, die den Zugang zu den Anliegen der Künstler_innen befruchtet und vertieft.
Harun Farocki war ein akribischer Beobachter und Analytiker der gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit. In den Studierendenprotesten der späten 1960er-Jahre politisiert, entwickelte er einen dokumentarischen und essayistischen Stil, in dem er eigene Filmaufnahmen mit Bildern aus anderen Quellen wie Massenmedien und Überwachungssystemen verknüpfte. Er war insbesondere an jenen Strukturen interessiert, durch die sich die Gesellschaft selbst zurichtet.
So fragen seine Arbeiten nach den Auswirkungen totalitärer Überwachungsund Kontrollsysteme, nach dem Alltag in einer von der kapitalistischen Logik durchdrungenen Lebens- und Arbeitswelt und nach der zunehmend komplexen Beziehung von Mensch und Maschine. Sie forschen dabei stets auch nach der Rolle des Bildes in Herrschaftsverhältnissen. Sie machen sichtbar, wie Bilder in Dienst genommen werden, sei es durch Überwachung, technisch-militärische und zivile Bildanalysen oder Fernsehen und Werbung. Zugleich legt Farocki die dem Film eigenen Konstruktionsprinzipien offen. Er ist in seinen Filmen und Videoarbeiten stets als Autor präsent, als Beobachter und Gestalter, der mit den Mitteln der Montage und des Kommentars unsere Wahrnehmung lenkt und eine aktive Rezeption herausfordert.
Florentina Pakosta war in jungen Jahren damit konfrontiert, dass Frauen in Kunstwelt, Wirtschaft und Politik nur Nebenrollen spielten. Ihr frühes Interesse an sozialen Verhältnissen, an Randgruppen und Außenseitern verlagerte sich in den 1970er-Jahren hin zur Auseinandersetzung mit der eigenen Erfahrung der Marginalisierung als Künstlerin. Sie betrieb intensive zeichnerische Porträtstudien, in denen sie nicht nur ihre eigene Existenz, sondern auch das männliche Antlitz der Macht analysierte, das sich ihr entgegenstellte.
Die Physiognomie des Gesichts wurde zu einem zentralen Motiv ihrer Arbeiten. Pakosta nahm am Gesichtsausdruck nicht nur die psychische Verfassung, sondern auch einstudierte, verinnerlichte soziale Masken und Rollen wahr. In präzise aufgebauten, teils hyperrealistisch wirkenden Zeichnungen, gänzlich reduziert auf Schwarz und Weiß, porträtierte und karikierte sie den zur Maske geronnenen Gesichtsausdruck mächtiger Männer. In feministischen und satirisch-surrealistischen Zeichnungen thematisierte sie darüber hinaus das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern. Pakosta erweist sich in ihrem von ihr so genannten Erstwerk, das von einem figurativen Realismus geprägt ist, als Meisterin der Zeichnung und anderer grafischer Techniken.
Mit dem Ende der 1980er-Jahre wandte sie sich über den Weg bildfüllender Warenlandschaften einer intensiv farbigen Formensprache der geometrischen Abstraktion zu. Ihre stets aus drei Farben und kraftvollen Bewegungslinien aufgebauten Trikolore-Bilder übertragen das konstruktive Element ihrer Zeichnungen in die abstrakte Malerei. Was ihre Zeichnungen auf direkte Weise ansprechen, assoziieren ihre Malereien in der Bildsprache der Abstraktion: das Gewaltsame und Zerbrechliche, aber auch Dynamische und Veränderliche.
Physiognomie der Macht
Harun Farocki & Florentina Pakosta
8. Dezember 2020 bis 5. April 2021
Kurator: Jürgen Tabor
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