Peter Sandbichler - Unpredictable

Der Kunstraum Dornbirn präsentiert eine für die historische Montagehalle entwickelte Installation des österreichischen Künstlers Peter Sandbichler. Die Ausstellung ist mit "Unpredictable" betitelt. "Unpredicatble" verwendet Sandbichler im Sinne von "unberechenbar" doppeldeutig, der Titel kann sowohl auf die Kunst im Allgemeinen als auch auf den Künstler selbst bezogen werden. Ein Sprung ins kalte Wasser stellt für den Sandbichler die Umsetzung eines handgroßen Modells, in die gigantische Dimension der Montagehalle des Kunstraum Dornbirn dar. Im Kunstraum Dornbirn installiert Peter Sandbichler zwei Arbeiten im Raum. Neben dem riesigen Tierschädel "Skull #6,2021" schraubt sich eine meterlange Kartonspirale durch die Montagehalle.

Ausgangsmaterial für die Spirale ist Verpackungskarton für Fahrräder. Ein vom Künstler gern verwendetes Material, das er zu großformatigen, ausdrucksstarken Arbeiten modelliert. Ein sperriges bedeutungslose Faktor, der nach dem Konsum übrig bleibt und dem bestenfalls eine Weiterverwertung im Recyclingkreislauf zugedacht ist. Diese Funktionsverschiebung des Abfallstoffes erzeugt für Sandbichler eine große Freiheit im Denken und in der Umsetzung seiner künstlerischen Visionen. Formal gestaltet Sandbichler den flachen, zweidimensionalen Karton, indem er durch Faltungen geometrische Formen und dreidimensionale Körper entwickelt. Zufällige Gebrauchsspuren, Zeugnisse früherer Verwendung oder Aufschriften stören ihn dabei nicht, sie führen zu einer Belebung der sonst unbehandelten Oberfläche der Objekte. Neben dieser Zufälligkeit, sind Sandbichler eine präzise Planung am Computer, sowie die exakte Ausführung der Module, mittels einer scheinbar schlichten Faltung der Kartonagen wichtig. Er erkundet so neben den ästhetischen, sämtliche Möglichkeiten des Materials Karton. Die einzelnen Elemente werden in einer repetitiven, fast seriellen Weise gefertigt und zu großen Arbeiten zusammengesetzt. Sandbichler entwickelt auf dieser Basis seine Arbeiten ortsspezifisch. Im Kunstraum Dornbirn realisiert Sandbichler eine mehr als fünfzig Kartonmodulen zusammengesetzte riesige Spirale, die er an den Schwenkarmen der Montagehalle aufgehängt, schweben lässt. In Anlehnung an einen vergangenen Stil und diesen in seine Arbeit überführend, lässt sich Sandbichler von gezopften Pestsäulen des Barock inspirieren. Er dreht sie in die Waagrechte und dreht die Spirale ins Unendliche. Assoziationen mit einem RNA-Strang und deren Bedeutung in der aktuellen Pandemie sind naheliegend und erlaubt, standen aber bei der Entwicklung dieser Arbeit nicht primär im Vordergrund.

Konzept und Gespür für Material sind auch bei der zweiten Arbeit "Skull #6, 2021" die Peter Sandbichler für den Kunstraum Dornbirn modelliert, hat wesentlich. Er verwendet die alte Technik des Gießens einer Skulptur mit neuer Materialität. Sandbichler entwickelt seine Serie der Skulls weiter. In der Montagehalle in Dornbirn in einem sehr großem Volumen, sodass die Besucher_in neben Betrachter_in zu einer Benutzer_in wird, angeregt zu partizipieren und den Skull zu begehen. Ausgangspunkt der Überlegungen des Skulls im Kunstraum Dornbirn ist ein Elefantenschädel. Ein Topos und Symbol das für das Artensterben und die bedrohte Situation unseres Planeten insgesamt. Der Skull fungiert als barockes Vanitas Symbol, als Mahnmal für das "spaceship earth", ein Begriff dessen Verwendung Buckminster Fuller in den 1960er populär gemacht hat und für einen sensiblen, ressourcenschonenden Umgang, für eine gesamtplanetarische Sichtweise steht. Der Schädel besteht aus sechsundzwanzig, in einem aufwändigen Prozess, gegossenen Elementen. Jedes einzelne Modul aus weißem Gießharz wirkt als solches, allein gesehen, abstrakt. Sie entwickeln ihre gesamte Information erst als zusammengesetzte Form, als Skull.

Der aus Tirol stammende und seit vielen Jahren in Wien lebende Künstler Peter Sandbichler analysiert und interpretiert in seinen kraftvollen Arbeiten gesellschaftspolitische, architektonische und bildhauerische Fragestellungen. Er arbeitet hauptsächlich in den Bereichen Skulptur, Objektkunst, Medienkunst sowie Installation. Große Bekanntheit haben Sandbichlers Arbeiten im öffentlichen Raum erreicht. Sandbichler realisiert dauerhafte Interventionen beispielsweise im Hauptbahnhof in Wien "12 Töne" (2019) oder bei der künstlerischen Fassadengestaltung des Varta Hauses in der Mariahilferstraße in Wien, das "Haus mit Augenbrauen" (2017). In kritischer Reflexion und in Bezugnahme auf das von Adolf Loos geplante "Haus ohne Augenbrauen" am Michaelerplatz belebt Sandbichler das Design der Fassade, in dem er die schlicht weiß gestrichene Fassade in ihrer Oberfläche mit geometrischen Formen aufbricht. Die jeweilige Beleuchtungssituation mit Kunst- oder Tageslicht schafft für die aufmerksamen Betrachter_innen oder die einfach Vorbeigehenden jedes Mal ein anderes Erlebnis eines Licht- und Schattenspiels und macht das Varta Haus zu einem international viel beachteten Architektur-Hotspot der Stadt.

Große Aufmerksamkeit erfährt aktuell die Baustelle des Lehr- und Bürogebäudes der Universität Innsbruck am Innrain. Peter Sandbichler konnte mit seiner bildhauerischen Intervention "Zeitbogen" am Haupteingangsportal den von der Bundesimmobiliengesellschaft geladenen Kunst & Bauwettbewerb für sich entscheiden. Temporär bespielt Peter Sandbichler den öffentlichen Raum 2017 die MQ Art Box, die sich im Haupthof des MuseumsQuartier in Wien befindet. Sandbichler lässt die riesige Kartonskulptur "Shrine" 30 cm über dem Boden schweben.

Peter Sandbichler interessiert sich für Funktionsverschiebungen und inhaltliche Verdichtungen, die sich aus der Wiederverwendung gefundener Objekte oder Materialien ergeben. Die als "Alte Schachteln" bezeichneten Arbeiten sehen wie unförmige, deformierte Verpackungskartons aus. In einem performativen Akt verformt der Künstler gebrauchte Industriekartons, die er dann in unterschiedlichen Materialien wie Bronze, Aluminium oder Beton gießt. Die Objekte die im ersten Moment leicht und fragil wirken, können ein Gewicht bis zu 140 Kilogramm haben und mit ihrer robusten Oberfläche als stabile Sitzgelegenheit Verwendung finden.

Ein weiteres großes Arsenal an Gefundenem sind sorgfältig gewählte Zeitungsausschnitte, die Sandbichler in Origamitechnik faltet. Das entstehende "Fischgrätmuster" fragmentiert und unterbricht Informationen des jeweiligen Zeitungsartikels und bewirkt so Wahrnehmungsverschiebungen. Raumgreifende modulare Skulpturen schafft Peter Sandbichler mit dem Tensegrity-Prinzip - ein zusammengesetztes Wort aus Tension und Integrity, von Buckminster Fuller aus den 1940er stammend. Der Künstler Sandbichler verspannt mit Stahlseilen oder Kunststoffgurten Objekte die sich, frei im Raum schwebend, nicht berühren, aber dennoch miteinander verbunden sind und zueinander in Beziehung stehen. Peter Sandbichler löst Gegenstände des Alltags vollkommen aus ihrem Funktionszusammenhang. Er verwendet Neoröhren, Schlagbäume, Besteck etc. und erzeugt neue Bedeutungszusammenhänge, ohne das einzelne Objekt zu verändern oder zu bearbeiten.

In der Beschäftigung mit einer freien Formfindung lässt Peter Sandbichler sich u.a. von Architekten und Künstler wie Friedrich Kiesler und dessen schwerelosen Raumhüllen, Buckminster Fuller, Otto Frei oder den freitragenden Konstruktionen von Konrad Wachsmann inspirieren. Umgesetzt in seinem konzeptionell, bildhauerischen Ansatz hinterfragt Peter Sandbichler aktuelle gesellschaftspolitischen Themenstellungen und Entwicklungen. Er verwendet verschiedensten Materialien, auch Gegenständen aus den Alltäglichen und unterschiedliche bildhauerische Techniken. Seine ausdrucksstarken bildhauerischen Interventionen können immer als Aufforderung gelesen werden, sich auf einen Perspektivenwechsel einzulassen.

Peter Sandbichler ist 1964 in Kufstein geboren. 1983 studiert er an der Art Students League in New York, 1984-86 bei Wander Bertoni an der Hochschule für Angewandte Kunst und 1986-91 bei Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1993 geht Sandbichler für ein Jahr an das Institut für Neue Medien der Städelschule in Frankfurt, um bei Peter Weibel ein Post Graduate zu absolvieren. Es folgten längere Auslandsaufenthalte in Tokio, New York und Berlin. Heute lebt und arbeitet Peter Sandbichler in Wien.

Peter Sandbichler - Unpredictable
7. Mai bis 15. August 2021
Kurator: Thomas Häusle