Peter Fischli & David Weiss in der Sammlung Goetz

In einer umfangreichen Einzelausstellung präsentiert die Sammlung Goetz zum zweiten Mal Arbeiten von Peter Fischli und David Weiss, den international bekanntesten Schweizer Künstlern ihrer Generation. Ihr Werk zeichnet sich durch eine besondere Vorliebe für die schnell übersehenen Dinge und Situationen des Alltags aus. Diese werden auf humorvolle Weise in einer Fülle an Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Diainstallationen und Filmarbeiten dargestellt. Die rund 50 Einzel- und mehrteiligen Arbeiten, die Ingvild Goetz seit 1996 in ihre Sammlung aufnimmt, decken exemplarisch die Zeitspanne von Beginn der Zusammenarbeit beider Künstler 1979 bis zur Gegenwart ab.

Den Auftakt der Ausstellung bildet eine mehrteilige Installation, die wie die Überreste einer kleinen Heimwerker-Baustelle am Rande des Ausstellungsbetriebs wirken. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die scheinbar achtlos zurückgelassenen Dinge als täuschend echt geschnitzte und bemalte Nachbildungen aus Polyurethan, einem billigen Schaumstoff. Der ungewöhnliche Einsatz von Materialien und die damit einhergehende Täuschung unserer Sehgewohnheiten schlägt sich auch in einer Reihe von Objekten aus synthetischem Gummi nieder, die vom Original abgenommen wurden: ein Hundenapf, eine Schallplatte, eine Wurzel, eine Kommode, eine Frauenskulptur. Alle Objekte wirken aufgrund ihrer ungewohnten Materialeigenschaften seltsam eigentümlich.

Die Fotoserie "Stiller Nachmittag" (1984/85) zeigt verschiedene Skulpturen, die aus leeren Flaschen, Haushaltsgegenständen, Schuhen, Holzabfällen und Obst zusammengestellt wurden. Die komplex arrangierten, fast surrealistisch anmutenden Gebilde sind Konstruktionen, die den Eindruck erwecken, als würden sie beim nächsten Luftzug zusammenfallen. Dieses Prinzip des schwankenden Gleichgewichts und des gleichsam spielerischen Moments findet seine Fortführung im Video "Der Lauf der Dinge" (1986/87), die mit Abstand bekannteste Arbeit des Künstlerduos. Erstmals 1987 auf der Documenta 8 in Kassel gezeigt, war der Film nach über zweijährigen arbeitsintensiven Vorbereitungen fertiggestellt worden.

Die ausschließlich aus Alltagsgegenständen bestehende Installation zeigt eine 30-minütige Kettenreaktion chemischer und physikalischer Verbindungen, die sich als faszinierendes Spektakel in mehreren Abfolgen entfaltet. Anders als bei einem Dominospiel stehen Ursache und Wirkung dabei jedoch in einem absurden Verhältnis zueinander und erinnern in ihrer Funktionsweise an eine Rube-Goldberg-Maschine oder an die Plastiken von Jean Tinguely. Der Wahnsinn scheint Methode zu haben. Von einem ähnlichen Spieltrieb zeugt die fotografische "Wurstserie" (1980). Für ihr erstes gemeinsames Werk drapierten Fischli und Weiss Würste und Wurstscheiben auf Teppichböden, in Kühlschränken, Backöfen und zerwühlten Betten, und verwandelten sie, begleitet von Hundeleckerlis, sauren Gürkchen und Zigarettenstummeln, zu Bestandteilen filmischer Szenen. Auf ironisch-subtile Weise stellen die beiden Künstler so Ausschnitte des gesellschaftlichen Lebens nach.

Die Fotografie nimmt im OEuvre der Künstler einen hohen Stellenwert ein. Bedingt durch das intensive kulturelle Studium ihrer Umgebung und den damit verbundenen Reisen innerhalb der Schweiz und später auch im Ausland entstand im Laufe der Zeit ein mehrere zehntausend Aufnahmen umfassendes Fotoarchiv, das vor allem seriell präsentiert wird. Die Reihe "Airports" (ab 1987) besteht aus großformatigen, schmucklosen, unprätentiösen Fotos internationaler Flughäfen, die vermutlich durch große Fensterscheiben von Wartehallen hindurch aufgenommen wurden. Die undramatische Positionierung von Passagier- und Transportflugzeugen, Frachtcontainern, Lieferfahrzeugen und vereinzeltem Bodenpersonal im Bild erinnert an mittelmäßige Schnappschüsse von Touristen.

Diese beabsichtigte Durchschnittlichkeit kommt auch in der Diainstallation "Blumenprojektion, Herbst" (1998) zum Ausdruck. In der Ausstellung werden doppelt belichtete Diapositive mit Ansichten aus Blumengärten und Gemüsebeeten zweifach übereinander projiziert. Hier spiegelt sich ein zentrales Thema im Schaffen von Fischli und Weiss wider: das Banale, das Einfache, das Offensichtliche, das bewusst in den Vordergrund gestellt wird und mithilfe geringer technischer Mittel wundersame Effekte erzielt. Verschiedene Blumenarten scheinen hier miteinander verwoben zu sein, aus Unkraut erwachsen Zucchini und Wirsing, Stiefmütterchen verschmelzen mit der untergehenden Sonne. Ein ähnlich simpler technischer Trick wird bei der kinetischen Installation "Son et Lumière (Le rayon vert)" (1990) angewendet. Durch das Zusammenspiel einer Taschenlampe mit einem Plastikbecher, der sich geräuschvoll auf einem motorbetriebenen Drehteller bewegt, entsteht ein poetisches Farbenspiel an der Wand.

In einer weiteren Multimedia-Installation beschäftigt sich das Künstlerduo mit scheinbar belanglosen, aber nichtsdestoweniger philosophischen Grundfragen des menschlichen Daseins. Die rein auf Text basierende Arbeit konfrontiert den Betrachter mit Gedanken wie "Findet mich das Glück?", "Soll ich meinen Sorgen weniger Beachtung schenken?" oder "Kommen Meinungen von selbst?". Diese konzeptuellen Fragen, auf die es nicht immer Antworten gibt, stehen beispielhaft für den ironischen Sprachwitz von Fischli und Weiss. Für ihre "Fragenprojektion" (1981–2002) wurden sie 2003 auf der 50. Venedig-Biennale mit dem Goldenen Löwen geehrt. Der Ursprung dieser Arbeit liegt in zwei Filmen, in denen sich die Künstler, als Ratte und Bär verkleidet, auf eine Reise durch Los Angeles bzw. das Schweizer Hinterland begeben. Unterwegs wollen sie das Leben hinterfragen, Weisheiten sammeln und ihre philosophischen Erkenntnisse für die Menschheit festhalten. Viele Ereignisse und Requisiten dieser beiden Filme inspirierten die Künstler zu weiteren ungewöhnlichen Arbeiten, die in der Ausstellung gezeigt werden.

Peter Fischli (*1952 in Zürich) und David Weiss (*1946 in Zürich) leben und arbeiten in Zürich. Fischli studierte an den Kunstakademien in Urbino und Bologna von 1975 bis 1977. Weiss studierte von 1963 bis 1965 an den Kunstgewerbeschulen in Zürich und in Basel. Ihnen wurden mehrere wichtige Einzelausstellungen in nationalen und internationalen Museen gewidmet, z. B. 1996 in der Serpentine Gallery in London und im Walker Art Center in Minneapolis, 2000 im Museu d’Art Contemporani de Barcelona, 2002 im Museum Ludwig in Köln, und 2006 eine große Retrospektive in der Tate Modern in London, die 2007 ins Kunsthaus Zürich wanderte und zuletzt in den Deichtorhallen in Hamburg 2008 gezeigt wurde. 2010 stellten sie im 21st Century Museum of Contemporary Art in Kanazawa, Japan, aus und nahmen im gleichen Jahr an der Gwangju-Biennale in Südkorea teil.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Ingvild Goetz, Karsten Löckemann, Rainald Schumacher, Stephan Urbaschek und Katharina Vossenkuhl (dt./engl.).

Peter Fischli & David Weiss
8. November 2010 bis 12. März 2011