Das "Ornamentgenie" Dagobert Peche (1887–1923) ließ die Formensprache der Wiener Werkstätte (WW) gleichsam explodieren: Auf die Geometrie der WW-Gründer Josef Hoffmann und Koloman Moser antwortete er mit opulenten und poppigen, aus der Natur gewonnenen Dekoren. Gebrauchsgegenständen verlieh er eine Vielschichtigkeit, die Logik und Nutzwert bewusst unterlief. Das MAK widmet dem Visionär und "Enfant terrible" der Wiener Werkstätte erneut eine Großausstellung. Rund 700 Objekte zeigen den unverwechselbaren Peche-Kosmos und die faszinierende Wirkung seiner Arbeiten auf das Design des 20. und 21. Jahrhunderts auf: vom Art-Déco-Stil über die Postmoderne bis in die Gegenwart.
Es war Josef Hoffmann, der Dagobert Peche als "das größte Ornamentgenie, das Österreich seit der Barocke besessen hat" bezeichnete – so erzählt es die Journalistin Berta Zuckerkandl 1923 in ihrem Nachruf auf den Künstler. Tatsächlich führte Peche die Formensprache der WW in eine gänzlich neue Richtung: weg von der Geometrie hin zu opulenten Dekoren, die er aus der Natur gewann. Er arbeitete mit unterschiedlichen Materialien – Silber, Glas, Keramik, Leder und Papier – entwarf Schmuck, Möbel und Ausstellungs-Displays sowie sensationelle Stoffmuster.
Dagobert Peche komponierte sein höchst persönliches Œuvre in nur etwas mehr als zehn Jahren aus Leitmotiven, bei denen Herkunft und Werdegang eine wesentliche Rolle spielten. Dem folgend, nähert sich die MAK Ausstellung dem Peche-Kosmos nicht chronologisch, sondern thematisch. Die Kapitel heißen beispielsweise "Arkadien", "Boudoir", "Metamorphose" oder "Unheimlich".
1887 in St. Michael im Lungau geboren, maturiert Dagobert Peche 1906 in Salzburg. Eigentlich will er Maler werden, studiert aber auf Wunsch des Vaters Architektur in Wien an der Technischen Hochschule sowie an der Akademie der bildenden Künste bei Friedrich Ohmann. Als Vertreter einer romantischmalerischen Richtung fördert dieser Peches emotionalen Zugang zum Objekt sowie sein zeichnerisches Talent.
Bezeichnenderweise schlägt sich eine Reise nach England mit dem Architektenverein nicht in baulichen Entwürfen, sondern in deutlich von Aubrey Beardsley beeinflussten Grafikzyklen nieder. Auf einer Reise nach Paris im Jahr 1912 wiederum entdeckt Peche die Kunstgewerbe-Sammlungen des Louvre und kreiert nach der Rückkehr seinen "Ersten Sessel" in der Art des Rokoko.
Künstlerische Einflüsse führen bei Peche stets zu Lösungen, die zwar Bezüge erkennen, aber etwas gänzlich Eigenes entstehen lassen. Bei Beardsley fasziniert ihn die Schwarz-Weiß-Manier – nicht aber die skurrilen Szenen, sondern deren Requisiten: der Vorhang, die Quaste, der Kerzenleuchter. Rokoko verbindet er mit Klassizismus bei einem schwarzen Salonschrank, dessen mächtiger Körper durch ein goldenes Blumenmuster in die Fläche gezwungen wird (Salonschrank für Wolko Gartenberg, 1913).
Das Ausspielen von Gegensätzen durchzieht Peches gesamtes Werk und gehört zum großen Thema "Metamorphose": sei es die Verwandlung von Raum in Fläche und umgekehrt, jene von Materialien (Holz wirkt wie Stoff, Blech wie Keramik, Metall wie Papier), die des Ornaments (als Tapetenmotiv, Holzdekor oder auf Seide gedruckt) oder die der Nymphe Daphne aus der griechischen Mythologie, der Lieblingsfigur des ausgebildeten Architekten Peche, der keiner sein konnte, weil Architektur Beständigkeit verlangt und Verwandlung Bewegung bedeutet.
Folgerichtig ist die ephemere Architektur, das Ausstellungsdisplay, Peches Metier. Nachdem ihn Josef Hoffmann 1915 als Entwerfer in die WW geholt hat, inszeniert Peche die Mode-Ausstellung 1915/16 im ehemaligen Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute MAK). Er verwandelt die Säulenhalle in eine weiß-rosa Tüllwelt mit geheimnisvollen dunklen Umgängen. Wenig später wird er Leiter der neuen WW-Zweigstelle in Zürich und gestaltet das dortige Geschäft als Daphne-Paraphrase mit hängenden Fruchtgirlanden und sprießenden Blattmotiven.
Aus der Schweizer Idylle kehrt Peche 1919 zurück in das Nachkriegs-Wien, wo er eine baufällige Wohnung beziehen muss. Der Architekt von Luxus-Wohnungen ist Opfer der Wiener Wohnungsnot und haust in einem maroden Loch. Spätestens jetzt kommt das Unheimliche in Peches Werk zum Vorschein: Die Formen verfestigen sich, das Ornament wird herb, scharfkantig, er selbst beschreibt sich als "Mumie, die schon lange hat geruht in jenem Sarkophag, beklebt mit viel Papier, umwickelt mit den toten Blumen aus Brokat …".
Doch bevor der "Künstler-Handwerker", wie ihn der Peche-Biograf Max Eisler so treffend bezeichnet, 1923 an einer Krebserkrankung stirbt, hat er noch große Auftritte. Mit seinen monumentalen Kästen auf der Kunstschau 1920 spaltet er die Kritik, die entweder von "schrankenlosester Abgeschmacktheit" spricht oder von der erfrischenden Belebung des Wohnraums durch dekorativen Instinkt.
Außerordentlichen Erfolg hat er 1922 mit einer WW-Tapetenkollektion, ausgeführt von der Kölner Firma Flammersheim & Steinmann. Hier zieht Peche noch einmal alle Register, schichtet verschiedene Muster übereinander oder erfindet "elementare" Motive wie Das Wasser oder Der Stein. Das von ihm so geschätzte Ombré, ein Farbverlauf zwischen dunkel und hell, charakterisiert seine letzten Wohnungseinrichtungen, etwa für den Wiener Architekten, Designer und Kunstsammler Wolko Gartenberg.
In der sehr persönlichen Welt, die Peche erschafft, zelebriert er "unendlich hohe Räume", den Vorhang als subtiles Gestaltungselement, die Metamorphose von Figur, Raum und Gegenstand in Blüten und Blätter. Die Funktionalität der Objekte wird dieser Welt geopfert – ein Ansatz, der ebenso vehement kritisiert wie verteidigt wird: Das Erzählerische, Verspielte, Träumerische hilft dabei, das Elend des Krieges zu vergessen. Peche wird als Künstler definiert und ist damit aus der Verantwortung genommen.
Das verspielte Moment bei Peche hat die Nachwelt besonders interessiert, die Postmoderne schließt hier direkt an. Wenn Berta Zuckerkandl von einem Silberkelch als Blume mit beinartigen Stängeln, "als ob er laufen möchte", berichtet, erinnert das an Philippe Starcks staksende Zitronenpresse (1988) ebenso wie an den winkenden Casablanca-Schrank von Ettore Sottsass (1981). Gleichzeitig bedienen diese Objekte die skurrilen und unheimlichen Aspekte, die die Künstler:innen der Gegenwart ebenso interessieren wie das überbordende Ornament, das alles verschlingt.
"Peche Pop. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart" wird von der Peche-Spezialistin und Kustodin der MAK Sammlung Metall und Wiener Werkstätte Archiv, Anne-Katrin Rossberg, gemeinsam mit der Architektin Claudia Cavallar kuratiert, die auch für die Ausstellungsgestaltung verantwortlich zeichnet. Anne-Katrin Rossberg hat bereits an der ersten umfassenden Peche-Personale "Die Überwindung der Utilität. Dagobert Peche und die Wiener Werkstätte" 1998 im MAK mitgewirkt, die 2002 auch in der Neuen Galerie in New York gezeigt wurde.
Peche Pop
Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart
11. Dezember 2024 bis 11. Mai 2025