Paranoid Park

Die Befindlichkeit von Jugendlichen ist schon seit "My Own Private Idaho" das große Thema des Amerikaners Gus Van Sant. Nach seiner herausragenden "Tod hübscher junger Männer"-Trilogie legt er mit "Paranoid Park" ein weiteres traumwandlerisch leichtes, ebenso schönes wie trauriges Meisterwerk über die Jugend von heute vor.
In den 1990er Jahren gehörte Gus Van Sant nach "My Own Private Idaho" (1989) zu den großen Hoffnungen des unabhängigen amerikanischen Kinos. Nach "Good Will Hunting" (1997), "Finding Forrester" (2000) und dem farbigen Eins zu Eins Remake von Hitchcocks "Psycho" (1998) schrieb man ihn dann aber schon als vom Mainstream geschlucktes einstiges Talent ab, ehe er mit seiner Trilogie vom Sterben junger Männer eine sensationelle Rückkehr feierte. Schickte er in "Gerry" (2002) Casey Affleck und Matt Damon auf einen ebenso faszinierenden wie irritierenden, an Beckets "Warten auf Godot" erinnernden Trip durch die Wüste, schilderte er in "Elephant" (2003) unter Auflösung jeder Chronologie und Psychologisierung in Anlehnung an die Ereignisse an der Columbine High School am 20. April 1999 ein Massaker an einer US-High School und in "Last Days" (2005) erzählte er inspiriert vom Tod Curt Cobains von den letzten Lebenstagen und dem psychischen Verfall eines Rockmusikers.
In "Paranoid Park" stehen wieder Jugendliche im Mittelpunkt, sich selbst überlassen und verlassen von den Erwachsenen, die nur am Rande vorkommen. Zerbrochen ist auch die Ehe der Eltern des jungen Alex (Gabe Nevins), aus dessen Perspektive Van Sant erzählt. Wenn der Film beginnt, ist die Handlung im Grunde schon vorüber, aufgerollt wird sie nur durch die Aufzeichnungen von Alex. Diese folgen aber nicht der Chronologie der Ereignisse, sondern brechen vielmehr abrupt wie Erinnerungsfetzen herein, wiederholen sich teilweise wie bei einer Zeitschleife und fügen sich am Ende doch zu einem zwar verstörenden, aber schlüssigen Gesamtbild.
Verträumt sitzt er in der Schule und wird gleich in die Direktion gerufen, wo ihn ein Polizist über einen schrecklichen Unfall, der auch ein Mord gewesen sein könnte, befragt. Dann – in der Chronologie freilich früher – sieht man ihn mit seinem Freund Jared herumhängen oder den illegal erbauten "Paranoid Park" besuchen, in dem die besten Skater ihre Künste zeigen, der weniger erfahrene Alex aber nur zuschaut. Auch hat er in Jennifer eine nette Freundin, mit der er aber gerade nachdem er mit ihr geschlafen hat, Schluss macht. Und immer klarer wird auch, worin die Schuld besteht, die ihn zwar schier auf den Boden zu drücken droht, über die er aber nicht zu sprechen vermag.
Mehr als an einer konkreten Geschichte ist Gus Van Sant an der Beschwörung jugendlicher Gefühlswelten interessiert. Aus Raum und Zeit fällt der Film förmlich in tranceartige Stimmung, wenn Starkameramann Christopher Doyle in Super-8-Bildern die Atmosphäre im Skaterpark vermittelt und ein traumverlorener Ort beschworen wird, an dem der Alltag fern und das Glück greifbar nah ist. Diese schwerelosen Momente der Unschuld und der völligen Gelöstheit erzeugt Van Sant auch, wenn er bei Dialogen eine Szene in Zeitlupe wiederholt oder die Worte ausblendet und nur die Musik und die Gesichter der jugendlichen Schauspieler sprechen lässt.
Unglaublich natürlich sind diese jungen über einen Casting-Aufruf auf der Myspace-Website gefundenen Akteure, herausragend unter ihnen Gabe Nevins als Alex, gleichermaßen engelhaft und in sich versunken, abgestumpft und doch von Schuldgefühlen gequält. In Kontrast zu dieser Authentizität der Schauspieler stehen die stilisierten Bilder und die ingeniöse Musikmontage, bei der Van Sant mit Popsongs ebenso wie mit Beethoven, mit Stimmengewirr und elektronischen Sphärenklängen in gleichem Maße wie mit Nino Rotas Filmmusik aus Fellinis "Julia und die Geister" arbeitet. Förmlich in die tiefe Verzweiflung und Desorientierung des Protagonisten lässt er den Zuschauer dabei beispielsweise abtauchen, wenn er einer Duschszene höchst beunruhigende Dschungelgeräusche unterlegt.
So sehr "Paranoid Park" durch den Inhalt und die Figuren an Larry Clarks "Ken Park" erinnert, so sehr unterscheidet er sich durch die formale Gestaltung und den Blick des Regisseurs. Wo Clark alles überdeutlich zeigt, da hält sich Van Sant entschieden zurück. Und während Clarks Blick kühl ist, spürt man bei Van Sant mehr als bei seinen bisherigen Filmen seine Empathie mit den Teenagern, die in dieser wichtigen Umbruchsphase in ihrem Leben keine erwachsenen Ansprechpartner haben. – Es ist diese traumwandlerische Balance zwischen Beschwörung der Schönheit der unbeschwerten Jugendzeit und melancholischer Trauer über ihr Ende und den Verlust der Unschuld, die Ambivalenz von Eintauchen in jugendliche Gefühlswelten bei gleichzeitig distanziertem Blick von Außen, die "Paranoid Park" seine schillernde Schönheit, seine Genauigkeit und seine Wahrhaftigkeit verleihen.
Läuft am Donnerstag, den 5.6., um 20.30 Uhr, am Samstag, den 7.6., sowie Sonntag, den 8.6., jeweils um 18.30 Uhr und am Dienstag, den 10.6., um 20. 30 Uhr im Takino Schaan (engl. O.m.U.)
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