Pans Labyrinth

Spanischer Bürgerkrieg und Märchenwelt, brutale Gewalt und poetische Bilder voller Magie. – Guillermo del Toro verschränkt virtuos beide Ebenen zu einem bildgewaltigen Meisterwerk, das den Zuschauer das Staunen lehrt.
Unterschiedlich ist die Qualität der Filme, die man im Laufe eines Kinojahres zu sehen bekommt. Trotz allen Unkenrufen gibt es auch immer wieder und öfter, als manche wahrhaben wollen, berührende und beglückende Produktionen, ja sogar Meisterwerke zu entdecken. Was man aber wirklich selten findet sind Filme, die auch den passionierten Kinogeher noch wirklich überraschen, Filme von solch unerhörter Neuheit und Fremdheit, dass sie ihn lehren wieder wie ein Kind zu staunen. Denn wie bei der Philosophie steht wohl auch beim Film dieses Staunen am Anfang: das Staunen über die bewegten Bilder, Figuren und Handlungsverlauf, Farben und Licht, Kostüme und Kulissen.
Dem Mexikaner Guillermo del Toro ist mit »Pans Labyrinth«, der den zweiten Teil seiner 2001 mit »El espinazo del diablo« (»The Devil´s Backbone«) begonnenen »Spanischen Trilogie« bildet, allerdings so ein Wunderwerk gelungen – ein Film, der einem den Glauben an die Kraft und die grenzenlosen Möglichkeiten des Kinos zurückgibt, ein Film, wie man ihn nicht jede Woche und nicht jeden Monat, in seinen besten Momenten vielleicht nicht einmal jedes Jahr sieht.
Mit der zwölfjährigen Ofélia und ihrer Mutter entführt del Toro den Zuschauer in eine abgeschiedene Bergregion in Nordspanien. Schon am Beginn wird auf der einen Seite mit dem Off-Kommentar »Es war einmal vor langer Zeit« ein Märchenton angeschlagen, während auf der anderen Seite das Insert »Spanien 1944« die Geschichte in einen historischen Kontext eingebettet. Meisterhaft verschränkt del Toro durch den ganzen Film diese beiden Ebenen und spiegelt in der einen die andere.
Der Bürgerkrieg ist vorüber, Franco regiert mit diktatorischer Gewalt, doch in den Rückzugsgebieten leisten die Republikaner noch Widerstand gegen das faschistische Regime. Von einem militärischen Außenposten aus bekämpft Hauptmann Vidal mit brutaler Gewalt die Partisanen in den Wäldern. Obwohl es Kampfgebiet ist, lässt er seine hochschwangere und kranke Frau mit ihrer Tochter Ofélia anreisen, denn beim Mann muss die Gattin sein, um ihm einen Sohn – nur um einen solchen kann es sich beim Kind handeln – zu gebären. Die Frau ist für diesen Macho und Patriarchen nur eine Gebärmaschine, doch während sie ihn trotzdem liebt, besteht zwischen Ofélia, die Vidal nie Vater, sondern immer nur Hauptmann nennt, von der ersten Begegnung an Feindschaft.
Der drastischen Darstellung der Gräuel des Militärregimes steht Ofélias Flucht in eine märchenhafte Traum- und Gegenwelt gegenüber – nicht nur eine Flucht aus der Allmacht des tyrannischen Stiefvaters, sondern auch ein Akt des Widerstands gegen die Erwachsenen und die Obrigkeit. Mit einem Schwenk taucht die Kamera in diese in dunkle fast monochrome schwarze Unterwelt ab. Bruchlos, unglaublich rund und geschmeidig gleitet »Pan´s Labyrinth« durch fließende Kamerabewegungen und den Bewegungen aufnehmenden und weiterführenden Schnitt dahin.
Von einer Libelle, die verschiedene Gestalten annimmt, geleitet, steigt dieses Mädchen - unübersehbar die Parallen zu »Alice im Wunderland«, »The Wizard of Oz« aber auch zum mythischen Orpheus - hinab und trifft auf Pan, der sie als Prinzessin begrüßt und ihr drei Aufgaben stellt. Eine stimmungsmäßig an Jean Cocteaus »La belle et la bete« (1946) erinnernde, schaurig-schöne magische Welt voll faszinierender Bilder und Figuren hat del Toro hier geschaffen, verfällt aber nie in Eskapismus, da die Handlung in der Märchenwelt durch motivische und inhaltliche Parallelen mit der realen Geschichte eng verknüpft ist.
Auf beiden Ebenen spielt ein Schlüssel eine zentrale Rolle, eine Essensszene mit Bürgermeister, Pfarrer und Hauptmann findet ihre Entsprechung in der Märchenwelt und beide Geschichten kreisen um Befehl, Gehorsam und Widerstand. Durch diese Verschränkungen ergeben sich ganz zwangsläufig auf der Personenebene Entsprechungen. Wie Ofélia in der Märchenwelt zu handeln und Verantwortung zu übernehmen lernt, so wird auch die mit den Partisanen sympathisierende Mercedes – die geistige Schwester Ofélias – aktiv und bekennt sich zu ihrer Einstellung. - Erst in der kühnen Schlussszene verschmelzen die konträren Welten und ein Weg in die Zukunft wird gewiesen, für den aber Opfer gebracht werden müssen.
Indem del Toro Märchenwelt und Realität so konsequent verschränkt, löst sich dieser visuell überwältigende Fantasyfilm für Erwachsene auch vom konkreten historischen Kontext und wird ganz im Stile der klassischen Märchen zeitlos und allgemeingültig. – Kein Spektakel, sondern ein großer, ebenso poetischer wie brutaler Film über das Ende der Kindheit, die Übernahme von Verantwortung und die Notwendigkeit des Widerstands.
Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)