Die Ausstellung im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen vereint mit Otto Dix (1891–1969) und Adolf Dietrich (1877–1957) erstmals zwei bedeutende Künstler der Moderne, deren Werke trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswelten überraschende Gemeinsamkeiten aufweisen.
Beide Maler zählen zur Strömung der Neuen Sachlichkeit, die vor genau hundert Jahren durch die wegweisende Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim zur prägendsten Bewegung der 1920er Jahre wurde.
Otto Dix, ein Kind der Großstadt, fand sich nach seiner Entlassung als Professor der Kunstakademie Dresden durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 in der ländlichen Idylle der Bodenseeregion wieder: zunächst in Randegg nahe der Schweizer Grenze und ab 1936 in Hemmenhofen am Untersee. Hier begann er, Landschaften zu malen. Adolf Dietrich, ein Autodidakt, lebte nur dreieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt auf der gegenüberliegenden Seeseite im thurgauischen Berlingen. Der tief mit der Natur verbundene Maler fand ebenfalls seine Inspiration in den einfachen Landschaften seiner Heimat. Die Ausstellung bringt die Perspektiven der beiden Künstler auf dasselbe Landschaftsgebiet am Bodensee zusammen und beleuchtet verschiedene zentrale Aspekte ihres Werks.
Auf rund 500 Quadratmetern werden 100 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken präsentiert. Neben den Landschaftsbildern, die um den Untersee, den südwestlichen Arm des Bodensees, entstanden sind, werden auch Werke anderer Gattungen gezeigt, darunter Porträts, Selbstporträts, Tier- und Walddarstellungen sowie Bilder, die im Kontext der beiden Weltkriege entstanden sind. Insgesamt acht thematisch strukturierte Werkgruppen vertiefen die Verbindungen und Unterschiede zwischen den beiden Künstlern. Ein 16 Meter langer Zeitstrahl stellt ihre Biografien mit Text und Bild in den Kontext der historischen Ereignisse von 1877 bis 1969.
Otto Dix’ zahlreiche Selbstbildnisse zeichnen sich oft durch einen herausfordernden, durchdringenden Blick aus, der den Eindruck erweckt, den Künstler zu enthüllen. In den 1930er Jahren erklärte er: „Ich bin nicht gewillt, dem staunenden Bürger die ‚Tiefen‘ meiner Seele zu offenbaren. Wer Augen hat zum Sehen, der sehe!” Im Gegensatz dazu wirken Adolf Dietrichs Selbstbildnisse ruhig und authentisch. Er zeigt sich in alltäglicher Kleidung mit einer beinahe unschuldigen Haltung. Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen an die Darstellung ihrer Person offenbaren beide Künstler eine tiefgehende Auseinandersetzung mit ihrem inneren Selbst.
Sowohl Dix als auch Dietrich entdeckten die Landschaften rund um den Bodensee für sich. Während Dietrich in seinen Gemälden eine harmonische, ruhige Verbindung zur Natur ausdrückte, war Dix’ Blick auf die Landschaft oft kritisch und düster. Die Idylle, die ihn umgab, stellte er nicht als ungetrübte Schönheit dar, sondern als eine Natur, die mit einer gewissen Unnahbarkeit behaftet war.
In ihren Winterbildern fangen beide Künstler die Kälte und Erstarrung der Natur ein. Bei Dietrich spiegeln die winterlichen Szenen nicht nur die Jahreszeit, sondern auch die inneren Ängste und Verunsicherungen in einer politisch aufgeladenen Zeit wider. Dix’ Winterlandschaften wirken ähnlich existenziell, oft einsam und verlassen, als ob die Natur selbst in einem Zustand der Lähmung verharrte.
Die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs hinterließen tiefe Spuren in der Kunst von Otto Dix. Seine Darstellungen des Krieges sind brutal und unverhüllt. Dies wurde von den Nationalsozialisten als „Wehrkraftzersetzung” diffamiert. Dietrich hingegen zog sich in die Einsamkeit der Natur zurück. Dennoch spiegeln sich in seinen Bildern die Herausforderungen der Kriegsjahre in dramatischen Lichtstimmungen wider. Beide Künstler reflektieren auf ihre Weise die traumatischen Erfahrungen ihrer Zeit.
Während des Zweiten Weltkriegs zeigt sich in den Werken von Dix und Dietrich erneut die Dramatik der Zeit. Dietrichs Werke sind von Nebel und Eis geprägt und strahlen eine kühle Distanz aus. Dix malte sturmgepeitschte Landschaften und brennende Himmel und suchte in christlichen Motiven nach menschlicher Vernunft in den finsteren Kriegsjahren. Beide Künstler schufen Werke, die die brutale Realität ihrer Zeit auf ihre eigene Weise infrage stellten.
In seinen Porträts kritisierte Dix die Ambivalenz der Großstadtgesellschaft, indem er die Menschen in überzeichneten, oft entlarvenden Darstellungen zeigte. Dietrich malte Menschen aus seinem Umfeld meist mit einem stillen, beinahe idealisierten Blick. In seinen Kinderbildern sah er die Harmonie zwischen Mensch und Natur sowie eine Unschuld, die im Alltag der Erwachsenen verloren geht.
Dietrichs Stillleben und Tierbilder sind Ausdruck einer tiefen Verbundenheit zur natürlichen Welt. Dix’ Werke dieser Gattungen sind hingegen oft düster und entfremdet. Sie zeigen eine Distanz zur Natur und spiegeln die kühle, kritische Haltung wider, die sein Werk durchgängig prägt.
Beide Künstler schufen zahlreiche Zeichnungen, Aquarelle und Pastelle, die eigenständige Werke innerhalb ihres Gesamtwerks darstellen. Beide nutzten sie, um die Natur, wie sie sich ihnen zeigte, zu erfassen. Während Dix sie als Mittel zur künstlerischen Befreiung nutzte, waren sie für Dietrich ein Ausdruck seiner Freude am Zeichnen und seiner Entfaltung als Künstler. Im Gegensatz zu Dietrich fand Dix in der Druckgrafik zahlreiche Ausdrucksmöglichkeiten, um Menschen und ihre existenziellen Erfahrungen darzustellen: Anfang der 1920er Jahre in der Radierung und Aquatinta, später in der Lithografie.
Die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise zu zwei Künstlern, deren Werke sich durch Kontraste in Herkunft und Perspektive auszeichnen, die jedoch gemeinsame Themen und Herausforderungen ihrer Zeit teilen. Sie eröffnet überraschende Wahlverwandtschaften zwischen zwei Malern, die die Moderne in der Kunst ihrer Zeit auf ihre Weise prägten und großen Erfolg erzielten. Nicht zuletzt deshalb wurden sie in den Jahren um 1930 mehrfach nebeneinander in Ausstellungen präsentiert – ein Grund mehr, die beiden Künstler in einer umfassenden Schau miteinander zu verbinden.
Otto Dix – Adolf Dietrich. Zwei Maler am Bodensee
Bis 17. September 2025