Oh là là, Galliano!

9. Juni 2010 Rosemarie Schmitt
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Mögen Sie Galliano? Nein, nicht den italienischen Kräuterlikör, den Arturo Vaccari im Jahre 1896 erfand! Ihm wurde sogar die goldene Tapferkeitsmedaille verliehen! Für den Likör? Aber nein, weil er im Krieg eine italienische Festung gegen eine Übermacht verteidigt hatte. Aber diesen Galliano meinte ich doch gar nicht! Also, beginnen wir noch einmal: Mögen Sie Galliano?

Ja, der französische Akkordeonist mit den italienischen Wurzeln, der im Jahre 1950 in der Nähe von Cannes geboren wurde. Und die Medaille bekommt die Deutsche Grammophon für die Aussergewöhnlichkeit dieses Albums! Richard Galliano spielt gemeinsam mit nicht mal einer Hand voll Streicher, denn es sind lediglich vier, Werke von Johann Sebastian Bach. Aber wie jede Medaille hat auch diese eine Kehrseite. Bach war nun einmal kein Franzose, und das Akkordeon wurde erst etwa zweihundert Jahre nach Bach entwickelt. Also, bevor Sie nun diese CD hören, und dazu kann ich Sie nur ermutigen, machen Sie sich frei und lassen Sie sich fesseln, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Frei von "dem Bach", frei von einem "klassisch klassischen" Musikinstrument, und lassen sich fesseln von Galliano.

Seine erste CD aus dem Jahre 1985 hat den schönen Titel "Spleen"; und irgendwie passt dieser Titel zu Richard Galliano. Sein Vater war Akkordeonlehrer, drängte jedoch seinen Sohn niemals dieses Instrument zu spielen. Es geschah irgendwie und einfach so. Für das Akkordeon, eine "Victoria", das er seit vierzig Jahren und noch immer auf seinen Konzerten spielt, verkaufte Gallianos Großmutter ehemals ein Grundstück in Italien. So wurde einst aus einem Grundstück ein Grundstock.

Mittlerweile gibt es sogar ein nach Richard Galliano benanntes Akkordeon, ein Nachbau seiner "Victoria". Das Instrument scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen, denn auf der Musikmesse, auf der es vorgestellt wurde, wurden alle Instrumente gestohlen! Vielleicht seit dieser widerrechtlichen Aneignung kann dem ein oder anderen das Akkordeon als ernstzunehmendes Instrument eben gestohlen bleiben. Und mir? Nein, ganz gewiss nicht, denn was wäre der Tango ohne diesen züngelnden Balg? Piazolla ohne Akkordeon oder Bandoneon? Niemals!

Aber ich bitte Sie, Monsieur Gallinao, doch nicht die Solo-Suiten für Cello! Excusez-moi ! Das können Sie mit moi doch nicht machen! Da ging wohl der Italiener mit Ihnen durch?! Sie müssen wissen, ich liebe das Cello und ich liebe die Cello-Suiten von Bach, und zwar für CELLO, Basta! Deshalb habe ich mir auch noch die Kopfhörer aufgesetzt! Und noch eines Monsieur Galliano, wenn es nicht Ihre Gebeine sind, dann müssen es die Tasten sein! Sie klappern unentwegt nicht nur bei der Cello-Suite, sondern auch während des "Air" aus der 3. Orchestersuite, bei der "Allemande" und auch bei der "Kunst der Fuge". Vergangenes Jahr sagten Sie in einem Interview, für Sie sei Bach der größte Akkordeon-Komponist, und die "Kunst der Fuge" könne auf dem Akkordeon fantastisch klingen. Ich frage Sie: warum tut sie es dann nicht? Sie klingt vielmehr, so là là, Monsieur Galliano.

Aber die Stücke in Begleitung "Ihrer" Streicher, die gefallen mir gut. Ausgesprochen gut sogar, auch mit Kopfhörer. Bei dem ein oder anderen Titel könnte man glauben, Bach sei ein "Fronzos" gewesen. Leicht, jung und frech kommt er mit Ihnen dann daher, und fast könnte ich Ihnen das Prélude der 1. Cello-Suite verzeihen, aber eben nur fast! Und ganz zum Schluß, da präsentieren Sie uns dann noch ein kleines Schmankerl, einen feinen edlen Digestif, den Titel Nr.16. Diese "Aria" ist von Ihnen speziell für das Akkordeon komponiert. Und das hört man. Es mag zwar der letzte Titel auf der CD sein, aber sicher nicht das Letzte, was ich von Ihnen hören werde. Denn irgendwie ist es auch ungeheuer spannend und experimentell, was Sie da machen. Oh là là, Monsieur Galliano.
Und Sie, werte Leser, dürfen ebenso gespannt sein auf dieses Album! Hören Sie es sich an, es lohnt sich allemal.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt