27. Dezember 2016 - 4:30 / Walter Gasperi / Filmriss
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Modedesigner Tom Ford lässt in seinem nach "A Single Man" zweiten Spielfilm die schöne, aber innerlich leere Welt der Oberschicht und einen schmutzigen Neo-Noir-Thriller aufeinanderprallen. – Ein ästhetisch brillanter Film über Entfremdung und den Verlust von Empfindungen.

Vor sieben Jahren legte der Modedesigner Tom Ford mit der Verfilmung von Christopher Isherwoods Roman "A Single Man" ein brillantes Debüt vor. Gespannt war man auf seinen zweiten Film und ästhetisch packt "Nocturnal Animals" den Zuschauer auch sogleich mit den ersten Einstellungen.

Fettleibige, gealterte Frauen tanzen nackt vor der Kamera, stellen - man fühlt sich fast in einem Film von Ulrich Seidl - ihre schwabbelnden, hängenden Brüste und Fettwülste geradezu aus. In Kontrast zu diesen steht der dunkelrot leuchtende Vorhang im Hintergrund und rieselnder Glitter.

Wie hier Schönheit auf Hässlichkeit trifft und gleichzeitig das Hässliche durch die Inszenierung auch wieder ästhetisiert wird, so arbeitet Ford durchgängig mit starken Gegensätzen. Auch die fettleibigen alten Frauen entpuppen sich hier bald als Teil einer Kunstinstallation, die von der Galeristin Susan Morrow (Amy Adams) kuratiert wird.

Alles erscheint als Inszenierung, als aseptisch sauber, doch das Leben scheint der Welt und den Menschen ausgetrieben. Kein Chaos scheint auf den Straßen zu herrschen, sondern im Blick aus der Vogelperspektive auf die vielfältigen Kreuzungen einer Stadtautobahn wirkt der Verkehr bestens geordnet, das Bild ästhetisch.

Makellos wirkt auch die Designervilla am Rand von Los Angeles, in der Susan mit ihrem Mann Hutton (Armie Hammer) lebt, als Baustelle erscheint aber der Garten. Ausgesperrt scheint somit aus dem Leben das Unperfekte, doch wohl fühlt sich Susan in ihrer Hochglanzwelt offensichtlich auch nicht mehr.

Mit ihrem Mann möchte sie das Wochenende im Strandhaus verbringen, doch dieser jettet zu einem Geschäftstermin – oder doch eher zu seiner Geliebten? – nach New York. Da erhält sie per Post das Manuskript des neuen Romans ihres Ex-Mannes Edward (Jake Gyllenhaal). Wie er sie einst wegen ihrer Schlaflosigkeit nocturnal animal nannte, lautet auch der Titel des Romans, sodass sie Bezüge zu ihrer Beziehung erwartet und in ihren schlaflosen Nächten zu lesen beginnt.

Die elegante High-Society-Lady, die viel Wert auf perfekt sitzende Frisur und Styling legt, taucht damit in einen düsteren, in Texas spielenden Neo-Noir ein, in die Fahrt einer Familie auf einem nächtlichen, einsamen Highway, auf dem Vater, Mutter und Tochter bald von drei Rednecks terrorisiert werden.

Zwischen Gegenwart in der Villa in Los Angeles, Romanhandlung und kurzen Erinnerungen an die Ehe mit Edward, der wie der Protagonist des Romans von Jake Gyllenhaal gespielt wird, wechselt der Film nun. Zunehmend fließend gehen Film im Film und Gegenwart ineinander über und der Roman erweist sich als Abrechnung Edwards mit Susan, die ihn vor Jahren der Karriere halber verließ.

Konsequent Gegensätze spielt Tom Ford mit den beiden Erzählebenen aus. Da steht nicht nur der gelackten Großstadtwelt das schmutzige ländliche Texas und den überfüllten Stadtautobahnen der einsame Highway gegenüber, sondern auch der geordneten, aber emotional kalten Welt, die Brutalität und Leidenschaftlichkeit der Romanhandlung.

Dominieren auf der Gegenwartsebene perfekt arrangierte, aber kühle Einstellungen, so setzt Ford im Film im Film wiederholt auch die Handkamera ein, um den Zuschauer ins zunehmend brutale Geschehen hineinzuziehen. Aber auch in dieser düsteren Geschichte wird das Hässliche durch die Inszenierung Fords ästhetisiert, wirken nicht nur Sonnenuntergänge, sondern auch verfallende Hütten und staubige Straßen geradezu schick.

Aufgewühlt wird Susan durch den Roman, im wiederholten Blick in den Spiegel manifestiert sich, wie sehr sie auf sich selbst zurückgeworfen wird und über ihr Leben nachzudenken beginnt. Großartig evoziert Ford in der Nachfolge von Michelangelo Antonioni ihre Verlorenheit und Entfremdung, ihre zunehmenden Zweifel an ihrem Lebensstil.

Höchst kunstvoll ist dieser bis in die Nebenrollen hinein perfekt besetzte – großartig Michael Shannon als knorriger texanischer Sheriff - Film inszeniert. Die beiden Handlungsstränge mögen sich zwar nicht zu einem Ganzen fügen, aber raffiniert lässt Ford die Lektüre bei Susan Erinnerungen auslösen, in denen mit wenigen Szenen vermittelt wird, wie sie sich zunächst als Studentin gegen den Willen ihrer Eltern in Edward verliebte, ihre Ehe dann aber an ihrem Standes- und Karrieredenken zerbrach: Dass sie ihren Aufstieg aber mit Einsamkeit und Leere, dem Verlust jeglicher Empfindungen, bezahlt hat, machen die letzten Einstellungen nochmals eindringlich deutlich.

Läuft derzeit im Takino Schaan und im Kino Rex in St. Gallen

Trailer zu "Nocturnal Animals"

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)



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