No One is Innocent

Punk war neben HipHop die letzte globale popkulturelle Bewegung, die mehr sein wollte, als nur die akustische Möblierung von Teenager-Schlafzimmern: Ein völliger Umbruch in der Mode, den Stilgesten, den künstlerischen Ausdrucksformen und der Musik: Von der Weltverbesserungsattitüde des "Summer of Love" in den Sixties zum Nihilismus und den "No Future"-Parolen eines "Winter of Hate" zehn Jahre später; von den weichen und konturlosen Psychedelic-Farbspielen zu den harten Kontrasten und eckigen Designs der Neon- und Plastikepoche.

Die Ausstellung "Punk. No One is Innocent" belegt am Beispiel der drei Metropolen New York, London und Berlin, wie unterschiedlich und doch konsistent Punk in verschiedenen Kulturräumen und gesellschaftspolitischen Milieus auf die bildende Kunst, den "Look" der Jugendlichen und die Chiffren der Revolte wirkte. Während er in England vor allem ein Stil- und Modephänomen war und eine typische Grafik hervorbrachte, gab es in den USA und in Deutschland von Beginn an eine enge Beziehung zwischen Künstlern und Punkrockern – viele der Künstler und Avantgarde - Filmemacher wie Jim Jarmusch, Wolfgang Müller, Alan Vega und Salomé spielten selbst in Bands.

Über den Song "Anarchy in the UK" von den Sex Pistols, der das Punk-Phänomen mit einem Schlag weltweit auf die Titelseiten brachte, schrieb der Poptheoretiker Greil Marcus: "Es ist bloß ein Popsong, ein Möchtegernhit, eine billige Ware. Und doch stellt die Stimme, die den Witz erzählt etwas Neues im Rock "n" Roll dar, und damit in der populären Nachkriegskultur: eine Stimme, die sämtliche gesellschaftlichen Fakten leugnet und dadurch beteuert, dass alles möglich ist. Und sie bleibt neu, weil der Rock "n" Roll sie immer noch nicht eingeholt hat."

An der Spitze der britischen Punkbewegung standen der Manager und Anarcho-Denker Malcolm McLaren, die Modedesignerin Vivienne Westwood und der Graphiker Jamie Reid. Gemeinsam schufen sie eine visuelle Corporate Identity des Punk, von der noch mehrere Generationen zehren sollten: Eine Sicherheitsnadel in der Wange von Queen Elizabeth, T-Shirts mit Schock-Motiven, S/M-Mode für den subversiven Flaneur, Typographien, die mit ihren aus Zeitungen ausgeschnittenen Buchstaben Erpresserbriefe nachahmten. Es ging um die Idee von Punk als Überfall auf das Bewusstsein der Massen. Das Publikum wurde symbolisch in Geiselhaft genommen, und mit Forderungen, Zumutungen und optischen Schocks traktiert.

Mag die ursprüngliche Absicht der britischen Semiotik-Guerilla auch gewesen sein, "Cash aus Chaos" zu destillieren, so wurde doch schnell etwas anderes daraus: Ein Taumel der Zeichen und Embleme, eine Kakophonie von ideologisch geformten Bedeutungen, die mit zerstörerischem Furor in Sinnvernichtung überführt wurden. Aus heutiger Sicht ist es weniger die doch eher einseitige musikalische Seite des Punk, die nachhaltig weiterwirkt, als das Spiel mit Ikonografien und mit kunstimmanenten Bezügen, die Geisteshaltung einer konsequenten Negation, die einen Raum für Möglichkeiten öffnete. Punk ließ spüren, wie es ist, der Welt abhanden zu kommen und gleichzeitig in subjektiver Träumerei an einer neuen Subjektwerdung zu arbeiten.

Die Ausstellung "Punk. No One is Innocent" in der Kunsthalle Wien zeigt, dass Punk eine ästhetische Behauptung von Radikalität war, die sich vor allem als Revolution der Zeichen manifestierte und mit ihrer Do-it-yourself-Ästhetik produktive Irritation stiftete. Die optischen Spuren dieser mittlerweile längst historisch gewordenen Bewegung prägen bis zum heutigen Tag künstlerische Ausdrucksformen und haben über Protagonisten wie Laurie Anderson und Vivienne Westwood längst den Galerien- und Modemainstream erreicht.

Die Ausstellung umfasst neben bildender Kunst auch historische Artefakte (Flyer, Plattencovers, Manifeste, Fotodokumentationen), sowie typische Stil-Embleme, die als genetischer Code eines popkulturell verschlüsselten White Riot bis in die Gegenwart spürbar sind.


Katalog: Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog mit Textbeiträgen von Thomas Mießgang, Wolfgang Müller, Glenn O’Brien und Jon Savage.

Punk. No One is Innocent
16. Mai bis 7. September 08