Neue polnische Filme in den Schweizer Kinos

14. Januar 2013 Walter Gasperi
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Nach dem Beispiel des schon mehrere Jahre erfolgreichen "Cinema Italiano" bringt Cinélibre nun auch fünf neue polnische Filme in die Schweizer Kinos. Neben dichten Dramen finden sich darunter auch eine leichte Komödie und eine schonungslose Teenager-Geschichte.

Erstmals weltweite Beachtung fand das polnische Kino in den 1950er Jahren. Regisseure wie Andrzej Wajda, Jerzy Kawalerowicz und der früh verstorbene Andrzej Munk debütierten damals. Zu ihnen kamen in den 1960er Jahren Jerzy Skolimowski und Roman Polanski, der freilich bald in den Westen, nach England, in die USA und nach Frankreich wechselte. Eine dritte Generation trat schließlich in den 1970er Jahre mit Krzysztof Zanussi und Krzysztof Kieślowski auf. Kieslowski starb aber nach den Triumphen mit "Dekalog" und der "Drei Farben"-Trilogie 1996 im Alter von 41 Jahren, nur vereinzelt hörte man noch von den anderen Altmeistern, kaum präsent ist das polnische Kinos auf den großen Festivals, einzig der 1926 geborene Andrzej Wajda arbeitete kontinuierlich weiter und stellt derzeit ein Biopic über Lech Walesa fertig.

Speziell nach der Wende im Jahr 1989 wurde es still um das Polnische Kino. Die staatlichen Fördermittel fielen nun weg und die Produktion sank von im Schnitt 35 Spielfilmen pro Jahr auf rund 25. Leichte Komödien und aufwändige Monumentalfilme wie Jerzy Kawalerowicz´ Neuverfilmung von "Quo vadis" im Jahre 2001 bestimmten das Bild. Erst mit dem neuen Filmgesetz 2005 und der Gründung des Polnischen Filminstituts PISF hat sich nach Aussage der Filmhistorikerin Margarete Wach die Lage soweit normalisiert, dass neben dem Genre-Kino wieder Autorenfilme entstehen konnten.

Ernste Dramen, die einerseits im polnischen Alltag verankert sind, gleichzeitig aber universelle Geschichten erzählen bestimmen das Bild der fünf Filme, die Cinélibre als Schweizer Premieren in die Kinos bringt. Besondere Affinität zur Schweiz hat dabei Greg Zglinski, der zwar 1968 in Warschau geboren wurde, aber zwischen 1978 und 1992 in der Schweiz aufwuchs. In Lodz absolvierte er anschließend die Filmschule, seinen ersten langen Spielfilm "Tout un hiver sans feu" drehte er 2004 aber wieder in der Schweiz und wurde dafür auf Anhieb mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet.

Sieben Jahre vergingen, in denen Zglinski fürs Fernsehen arbeitete, ehe er mit "Wymyk - Courage" seinen zweiten Spielfilm drehen konnte. Schweizerisch ist daran nichts mehr, im Polen der Gegenwart spielt dieses dichte Drama über zwei ungleiche Brüder, die gemeinsam ein Unternehmen für Internet-Fernsehen betreiben. Während Alfred ein Draufgänger ist, wirkt Jurek ängstlicher. Ins Gegenteil kippt dieses Bild aber, als während einer Zugfahrt eine junge Frau von Rowdies bedrängt wird. Während die Mitreisenden und auch Alfred wegschauen, greift Jurek ein, wird selbst Opfer der Aggressoren und muss mit dem Tod ringend ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Jurek aber kann sich diese Schwäche und Feigheit, die er sich hier erlaubt hat, nicht eingestehen, erklärt vor Eltern und Bekannten, dass er nach Kräften versucht habe, den Bruder zu verteidigen. Nicht mehr aufrecht erhalten kann er diese Lüge freilich, als im Internet ein Video auftaucht, auf dem der Ablauf der Ereignisse festgehalten ist. Immer weniger wird Alfred mit der Schuld, die auf ihm lastet fertig, nicht nur seine Ehe, sondern auch er selbst droht daran zu zerbrechen.

Zglinski inszeniert leise und zurückhaltend, verzichtet auf große Szenen und drückt mehr in Blicken und Gesten als in Worten aus. In der konsequenten Handlungsführung, der sorgfältigen Verankerung der Geschichte in einem in kalte Farben getauchten polnischen Alltag und der Fokussierung auf den von Robert Wiekiewicz eindrücklich gespielten Alfred entwickelt sich "Courage" aber zu einem meisterhaften Drama über verschiedene Arten von Mut, um Tollkühnheit und Zivilcourage, aber auch um den Mut, den es braucht sich eine Schwäche und Schuld selbst einzugestehen.

Ein ähnlich starkes Drama ist auch dem 1963 geborenen Michal Rosa mit "Rysa – Der Kratzer" gelungen. Wie Zglinski konzentriert sich auch Rosa ganz auf seine Protagonistin, die 60-jährige Biologieprofessorin Joanna, die von Jadwiga Janowska-Cielsak herausragend gespielt wird. Am Beginn steht ein fröhliches Geburtstagsfest, doch eine dabei anonym geschenkte Videokassette stürzt Joanna immer tiefer in eine Krise. Auf dem Band wird nämlich ihr Mann als Offizier des Geheimdienstes denunziert, der sie vor Jahrzehnten nur geheiratet habe, um ihren politisch aktiven Vater auszuspionieren.

Das Vertrauen innerhalb des bislang glücklichen Paares bekommt Risse, Joanna beginnt Nachforschungen anzustellen, zieht sich immer mehr von ihrem Mann und der Welt zurück. Blickt man zunächst ganz aus Joannas Augen auf die Ereignisse, sodass man ihre Verunsicherung nachvollziehen kann, weitet Rosa sukzessive die Perspektive, lässt von außen auf seine Protagonistin blicken und ihr Abgleiten in eine schwere psychische Störung erkennen.

Durchschlagskraft entwickelt "Rysa" durch die Konsequenz der Inszenierung, die Spiegelung der inneren Krise in der zunehmenden Zurücknahme der Farben und dem Wechsel von lichter Sommerstimmung in den kalten verschneiten Winter. In den Hintergrund rückt hier die Frage nach der Vergangenheit des Mannes und wird auch nicht geklärt. Wichtiger ist für Rosa zu zeigen, wie eine Diffamierung eine sich kontinuierlich steigernde Katastrophe auslösen kann.

Ein schweres Thema greift auch die 1973 geborene Malgorzata Szumowska in "33 Sceny z życia - 33 Szenen aus dem Leben" auf, wenn sie vom Krebstod einer Mutter erzählt. Die Tragik des Filsm, der vom Tod von Szumowskas eigenen Eltern inspiriert wurde, wird aber immer wieder aufgefangen durch Momente geradezu absurder Komik, wenn ein Familienstreit an Weihnachten ins Groteske abgleitet, lange über die für die Tote passende Kleidung diskutiert wird oder sich sogar auf dem Friedhof Unerwartetes ereignet.

Im Zentrum der Handlung steht die Tochter Julia – das Alter Ego der Regisseurin – und ihr Umgang mit dem langsamen Sterben der Mutter. Großartig spielt Julia Jentsch diese Fotokünstlerin, deren Gefühl zwischen Verzweiflung und Verdrängung der Ängste, zwischen Trauer und Ausgelassenheit pendeln. Halt findet sie dabei nicht bei ihrem Mann, der als Komponist oft für Proben im Ausland ist, sondern schon eher bei ihrem wortkargen Kollegen Adrian.

In langen Einstellungen lässt Szumowska den Gefühlen und Stimmungen Raum um sich zu entwickeln, zeigt eindringlich die Tragik, aber auch die Banalität des Sterbens. Und dennoch geht das Leben weiter. Denn der Verlust der Eltern - auch der Vater wird nach dem Tod der Frau mit dem Leben nicht mehr zurecht kommen - führt bei Julia zu einem Überdenken der Lebenssituation, einem Neustart und gewissermaßen dem Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter.

Leichtgewichtiger ist Dariusz Gajewskis Verfilmung von Radek Knapps gleichnamigem Roman "Herrn Kukas Empfehlungen". Knapp/Gajewski schicken den jungen Waldemar aus einem polnischen Dorf mit ein paar Tipps seines Nachbarn Kuka nach Wien, doch dort erlebt er eine ganz andere Welt als erwartet.

"Herrn Kukas Empfehlungen" entwickelt keinen großen Handlungsbogen, sondern lebt vielmehr von einzelnen skurrilen Szenen und originellen Figuren. Warmherzig und mit Charme erzählt Gajewski vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes und den vielfältigen Erfahrungen, die er dabei machen muss, insgesamt bleibt diese Komödie aber doch etwas unbedarft und zu harmlos.

Erinnerungen an die Filme Larry Clarks oder Catherine Hardwickes "Thirteen" weckt schließlich das Spielfilmdebüt der 1980 geborenen Katarzyna Roslaniec. In "Galerianki – Die Girls vom Shopping Center" erzählt sie von der 14-jährigen Ala, die als Neuling in der Stadt Anschluss an eine Clique von Mädchen sucht, die im Shopping Center Männern sexuelle Dienste anbieten, wenn sie ihnen dafür Handys, Kleider oder Schuhe kaufen.

Roslaniec ist ganz auf Augenhöhe der authentisch und intensiv gespielten Jugendlichen. In grellen Farben und mit schnellen Schnitten schildert sie das vom Konsumismus bestimmte Leben, rückt immer wieder in Großaufnahme die geschminkten Gesichter, hohen Stiefel und kurzen Röcke der Teenager ins Bild und unterstreicht die Stimmung durch Rap-Musik. Drive und Wucht entwickelt "Die Girls vom Shopping Center" in seinem direkten Stil und der kompromisslos ungeschönten Erzählweise, ist aber auch sehr oberflächlich und plakativ.