Neo-Realismus

Die berühmteste Biennale, die von Venedig, erfreut sich regen Zuspruchs und führt das überkommene, obsolete Nationalitätsprinzip weiter, als ob die Kunst und die Künste sich noch nach irgendwelchen nationalen oder gar nationalistischen Kriterien orientierten. Ähnlich den peinlich gewordenen Weltausstellungen oder ihren Ersatznachfolgeveranstaltungen, suggerieren sie eine Herkunftsbedeutung, die gleichzeitig bei den bedeutenden Messen und Auktionen völlig inexistent ist.

Die teuerste und erfolgreichste Kunstmesse, die Art Basel macht ihre Geschäfte jenseits aller politischer Kriterien: hier geht es um Kunst als Geschäft, hier regiert das Kapital international. Dass sich modern dünkende Künstler bemühen, in den Nationalpavillons etwas Politik zu bringen, mag ja ehrenvoll sein, hat aber künstlerisch genauso wenig Bezug oder Bedeutung, wie der Marktrummel in den Hochetagen, wo es ums wirklich Bedeutende geht, den Warenwert.

Aber wenn viele immer noch so altmodisch national auftreten wollen, könnten einige kleine Reformen vielleicht für Aufregung sorgen. Wenn schon Politik und Realismus, dann echt und authentisch, und nicht nur brav herausgeputzt nach modischen, ideologischen Aspekten.

Ein Pavillon für den IS. Dort könnten Vergewaltigungen, Enthauptungen als realistische, authentische Performances vorgeführt werden, als Beitrag zur Komplexität des Islam und seiner kulturellen Ausformung in der Gegenwart. Dort könnten Psychologen und Kulturtheoretiker im echten, authentischen Umfeld über Theorie und Praxis debattieren.

Im Pavillon der USA würden ebenfalls Performances geboten, diesmal allerdings à la Guantanamo und NSA. Ein stärkeres Kontrastprogramm könnte wahrscheinlich niemand anderer liefern: hier die modernsten Einrichtungen zur totalen Überwachung und Ausspähung, mehr, als Orwell je visionieren konnte für seinen Big Brother. Dort die altbewährte, phylogenetisch gewachsene und bewährte Methode der Folter. Ein Politunterricht, der sich eingravieren wird im Gedächtnis. Zugleich eine Demonstration der Gemeinsamkeiten der Kern-Humanität in West und Ost, in christlich fundierter Gesellschaft und islamischer Kultur: US – IS.

Die moderne, opportune Zerrissenheit könnte auch Frankreich demonstrieren: Charlie Hebdo, Widerstand gegen Homoehe und Regime der Rechtsradikalen. Das sogenannt freie Wort hier, die intolerante Durchsetzung politisch korrekter Grundsätze dort. Dazwischen die soziale Ungleichheit, angereichert durch Erbstücke aus der glorreichen Kolonialzeit sowie die verzweifelten Bemühungen, als Grande Nation "mitzumischen", wie zuletzt in Libyen, dem heutigen Hauptexporteur von Flüchtlingen.

Großbritannien, mit Frankreich federführend im Krieg gegen Libyen, würde in seinem Pavillon zeigen, weshalb es keine Flüchtlinge mehr aufnehmen kann, auch jene nicht, die aufgrund seiner Kriegspolitik flüchten, und weshalb die Nation überlegt, ob sie überhaupt noch in der Union bleiben soll. Ähnlich wie die NSA in den USA brillierte das Land mit "Kunststücken", Artefakten aus der Welt der Überwachung, Manipulation und Desinformation. Zugleich würde die Bedeutung des Finanzplatzes London betont und demonstriert, weshalb jede künstlerische Abweichung von diesem Nationalprogramm verhindert werden muss: "Money talks". Um aber nicht nur ein etwas abstraktes Kunstprogramm zu bieten, würden die altbewährten Publikumsmagneten der Monarchie herausgestrichen: Der Erfolg der enthusiasmierten Massen wäre den Briten damit sicher!

Griechenland schwelgte in antikisierter Rhetorik und böte das bekannte Opferbild, das dem Bedürfnis vieler vieler Gutmenschen so entgegenkommt. Chartertouristen und gewisse Bildungsbürger würden das Ausstellungspanorama der Wiege abendländischer Kultur ergriffen ansehen und überlegen, ob sie nicht doch einen Billigurlaub im geschundenen, gedemütigten Land buchen sollten, um den Verzweifelten Trost zu bringen.

Auf dem erweiterten Gelände der Biennale würden auch Pavillons der Europäischen Union sein, damit die sinnvolle Ergänzung zu den Länderpavillons erfolgte. Insgesamt würde eine bislang unbekannte Belebung des öffentlichen Diskurses, der Kulturenbegegnung und des Austausches erfolgen, und das alles nicht theoretisch entrückt, barock überhöht oder metaphorisch überspitzt, sondern ganz echt, hautnah, authentisch. Realistisch eben.