14. April 2008 - 4:23 / Walter Gasperi / Zoom

Nur unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den so genannten "Trümmerfilmen" die Gräuel des Nationalsozialismus angesprochen, dann wurde das Thema zunächst einmal für rund 30 Jahre verdrängt. Die differenziertere Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Film ließ bis in die 1970er Jahre auf sich warten.

"Die Vergangenheit war damals überhaupt kein Thema", sagt Traudl Junge in "Im toten Winkel" über die unmittelbare Nachkriegszeit. Erst durch eine Gedenktafel für Sophie Scholl sei bei ihr der Gedanke an eine Aufarbeitung ihrer persönlichen Geschichte entstanden.

Wie genau die Privatsekretärin Hitlers damit die Beziehung vor allem Deutschlands zum Nationalsozialismus trifft, zeigt auch ein Blick in die Filmgeschichte. Nur unmittelbar nach Kriegsende setzten sich deutsche Regisseure in den so genannten "Trümmerfilmen" mit der jüngsten Vergangenheit auseinander, danach wurde dieses Thema bis in die 70er Jahre verdrängt.

In Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" (1946) begegnet ein Arzt, der in Polen Zeuge eines Massakers deutscher Soldaten war, nach Kriegsende im zerbombten Berlin dem für dieses Verbrechen verantwortlichen Offizier. Von Schuldkomplexen wird freilich nur der Arzt gequält, der wahre Täter führt als ehrbarer Fabrikant ein sorgenfreies Leben. Während Staudte selbst drei Jahre später in "Rotation" (1949) den unpolitischen Kleinbürger als Träger des nationalsozialistischen Systems heftig attackierte, sprach Helmut Käutner mit "In jenen Tagen" (1947) episodenhaft wesentliche Stationen der 12-jährigen Gewaltherrschaft an. Gemeinsam ist den "Trümmerfilmen", dass dabei das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg unter rein menschlichen Aspekten dargestellt wurde, für eine distanzierte politische Analyse und eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Ideologie des Nationalsozialismus war der Abstand zu den Ereignissen wohl noch zu kurz.

Mit zunehmender Distanz nahm allerdings nicht die Bereitschaft zur Aufarbeitung der jüngsten Geschichte, sondern vielmehr die Verdrängung zu. Spätestens mit der Stabilisierung der Lage, mit der Gründung der BRD (1949) und dem Beginn des Kalten Krieges galt diese Thematik als unerwünscht, aus der Realität flohen die Massen in die Scheinwelt des Heimat- oder Arztfilms sowie des historischen Ausstattungsfilms.

Während "Schwarzwaldmädel" (1950), "Grün ist die Heide" (1951), "Dr. Holl" (1951), "Königliche Hoheit" (1953) und "Sissi" (1955) sich zu den großen Publikumserfolgen der 50er Jahre entwickelten, wurde der Nationalsozialismus nicht nur nicht thematisiert, sondern aus US-Klassikern sogar alle Hinweise darauf gestrichen. Aus der Nazigruppe in Hitchcocks "Notorious" (1946) wurde so in der in "Weißes Gift" umbenannten deutschen Fassung ein Rauschgiftring und aus "Casablanca" (1942) wurde die Figur des deutschen Major Strasser eliminiert und aus dem Nazi-Gegner Victor Laszlo wurde ein Erfinder obskurer Delta-Strahlen.

Neben unpolitischen Heldenliedern auf tapfere Soldaten wie Rommel ("The Desert Fox"; Henry Hathaway, 1951), Canaris ("Canaris"; Alfred Weidenmann, 1954) oder Udet ("Des Teufels General"; Helmut Käutner, 1955) fanden in diesen Jahren auch die Kriegsfilme von Frank Wisbar, in denen die Ereignisse nicht analysiert, sondern als schicksalhaft dargestellt werden ("Haie und kleine Fische", 1957; "Hunde wollt ihr ewig leben", 1958; "Nacht fiel über Gotenhafen", 1959), Anklang beim Publikum.

Auch Bernhard Wickis packendem und erschütterndem "Die Brücke" (1959) kann wie den zahllosen anderen Kriegsfilmen, die die historischen Ereignisse vorwiegend als Folie für spektakuläre Action-Filme oder humanistische Botschaften benutzen (1), der Vorwurf nicht erspart werden jenseits der realistischen Kriegsschilderung keine Analyse des politischen Hintergrunds zu liefern. Diese leisteten allerdings auch Georg W. Pabsts Schilderungen des Stauffenberg-Attentats ("Es geschah am 20. Juli", 1955) und der letzten Tage Hitlers ("Der letzte Akt", 1955) nicht.

Einzig Wolfgang Staudte und Kurt Hoffmann setzten sich im westdeutschen Kino Ende der 50er Jahre kritisch mit der Zeitgeschichte und gleichzeitig auch mit der Gegenwart auseinander. Ähnlich wie 13 Jahre zuvor in "Die Mörder sind unter uns" lässt Staudte in "Rosen für den Staatsanwalt" (1959) den Straßenhändler Kleinschmidt auf den Oberstaatsanwalt Schramm treffen, der ihn während des Krieges wegen eines geringfügigen Diebstahls zum Tode verurteilt hatte. Da der damals durch Zufall der Hinrichtung Entkommene nun die Position des angesehenen Bürgers gefährdet, möchte Schramm seinen Kontrahenten mundtot machen.

Der Komödienspezialist Kurt Hoffmann schildert dagegen in "Wir Wunderkinder" (1958) in kabarettistischer Form, wie ein ehemaliger Nationalsozialist auch in der Nachkriegszeit gleich wieder obenauf schwimmt und in der Zeit des Wirtschaftswunders Karriere macht.
Da sich in diesen beiden Filmen fraglos die Realität spiegelt und zahllose wirtschaftliche und gesellschaftliche Führungspositionen von ehemaligen Nationalsozialisten besetzt waren, kann es kaum verwundern, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im Westen nicht erwünscht war.

Das osteuropäische Kino und im Speziellen das Kino der DDR fand dagegen aufgrund diametral entgegengesetzter ideologischer Ziele ab den späten 50er Jahren gerade in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und Nationalsozialismus ein zentrales Thema. Krieg ("Sterne", 1957; "Ich war 19", 1967), KZ-Erfahrungen ("Nackt unter Wölfen", 1963) und Holocaust ("Professor Mamlock", 1961; "Jakob der Lügner", 1973) bestimmen die Werke von Konrad Wolf und Frank Beyer.

Im westlichen Kino war die Zeit des Dritten Reiches dagegen abgesehen von Alain Resnais´ nüchternem Dokumentarfilm über die Konzentrationslager ("Nuit et brouillard", 1955), Marcel Ophuls dokumentarischer Studie der Zustände in Clermont Ferrand während der deutschen Besetzung ("Le Chargin et la Pitié", 1969) und Luchino Viscontis die Ereignisse opernhaft überhöhendem Melodram "Il Caduta degli Dei" (1968) auch 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kein Thema.

Aus Bob Fosses mit acht Oscars ausgezeichnetem Musical "Cabaret" (1972) eliminierte die deutsche Zensurbehörde sogar noch 1972 einen singenden Hitlerjungen, der mit seinem leidenschaftlichen Nazi-Lied ein Wirtshauspublikum zu Tränen rührt.

Erst ab der Mitte der 70er Jahre lässt sich gerade in Deutschland ein wachsendes Interesse für diese Thematik feststellen. Während Theodor Kotulla in "Aus einem deutschen Leben" (1976) sachlich und zurückhaltend das Leben von Rudolf Höß, des Kommandanten von Auschwitz, nachzeichnete, entwarf Hans Jürgen Syberberg mit seinem siebenstündigen "Hitler, ein Film aus Deutschland" (1977) ein Werk von überbordender Fantasie, in dem Mythologisches und Historisches, Dokumentarmaterial und Inszeniertes zu einer Einheit verschmolzen werden sollten.

Weit größeres Aufsehen als Syberbergs umstrittener künstlerischer Kraftakt erregte aber beim breiten Publikum der auf dem Niveau einer sentimentalen Soap-Opera operierende amerikanische TV-Vierteiler "Holocaust" (1977), der wie kein anderes Medienereignis zuvor das deutsche TV-Publikum mit den Auswirkungen des nationalsozialistischen Antisemitismus konfrontierte und zu heftigen Diskussionen führte.

Differenzierter und mit einem hohen Maß an Authentizität, wenn auch unter Verwendung konventioneller Strategien des großen Hollywood-Kinos befasste sich Steven Spielberg 15 Jahre später in "Schindler´s List" (1993) mit dem Genozid an den Juden. Wie unbefangen, gleichwohl aber ernsthaft und bewegend Regisseure - freilich nur außerhalb Deutschlands - sich diesem Thema inzwischen nähern, zeigten in den letzten Jahren Roberto Benigni und Radu Mihaileanu mit ihren Tragikomödien "La vita è bella" (1998) und "Train de Vie" (1998).

Als Gründe für das steigende Interesse an der NS-Zeit ab Mitte der 70er Jahre können sowohl die Distanz einer jüngeren - für Helmut Kohl mit der "Gnade der späten Geburt" gesegneten - von der NS-Zeit nicht direkt betroffenen Generation von Regisseuren und das Ausscheiden von ehemaligen Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Leben angesehen werden. Zudem sorgen auch immer wieder politische Ereignisse wie die Kranzniederlegung am Soldatenfriedhof Bitburg durch Helmut Kohl und Ronald Reagan (1985), die Waldheim-Diskussion (1986), der Fall Jenninger (2), die Debatten über Martin Walsers "Skandalrede" (1998) oder über seinen 2002 erschienenen Roman "Tod eines Kritikers, die Diskussionen um die Wehrmachts-Ausstellung oder der Hitler-Bush-Vergleich durch die ehemaligen deutschen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (2002) und diverse Äußerungen von FPÖ-Politikern zum Nationalsozialismus für eine Konfrontation und ein Nachdenken über diese Zeit.

Dringlichkeit gewinnt das Thema aber auch durch das langsame Verschwinden der Spuren der historischen Ereignisse. Denn wie in Claude Lanzmanns epochalem 91/2 stündigen Dokumentarfilm "Shoah" (1975-1984) Gras über die Geleise von Treblinka wächst und die Zeichen des Vergangenen zu verschwinden drohen, so sterben langsam auch die letzten Zeitzeugen.

Den Dokumentarfilmregisseuren scheint förmlich die Zeit davon zu laufen und sie reagieren. Josh Waletzky interviewte Überlebende, die am jüdischen Widerstandskampf in Wilna beteiligt waren ("The Partisans of Vilna", 1985), Marcel Ophuls spürte von Schulkameraden über US-Agenten bis zu Restaurantbesitzern und Billardspielern achtzig Zeugen des Lebens von Klaus Barbie auf, um den "Henker von Lyon" möglichst genau zu porträtieren ("Hotel Terminus", 1985-1987) und Rob Epstein und Jeffrey Friedman befragten Homosexuelle zu ihrem Leben unter dem Nationalsozialismus ("Paragraph 175", 1999).

Für Hitlers letzte Privatsekretärin Traudl Junge wiederum war es wohl ein dringendes Bedürfnis kurz vor ihrem Tod ihre Erlebnisse wie eine Beichte der Autorin Melissa Müller und den Regisseuren André Heller und Othmar Schmiderer zu erzählen. Einerseits wollte sie sich damit von Schuldgefühlen, die sie seit Kriegsende quälten, befreien und andererseits nachkommende Generationen auf die Folgen von unpolitischem Denken und Mitläufertum aufmerksam machen. Auf alle Schnörkel und dekoratives Beiwerk verzichten Heller/Schmiderer in ihrem Dokumentarfilm "Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin" und vertrauen ganz auf die Erzählungen der 81-Jährigen (2002).

Aber nicht nur dokumentarisch setzen sich deutsche Filmemacher zu Beginn des dritten Jahrtausends mit dem Nationalsozialismus auseinander, sondern auch im Spielfilm wurde das Thema mit Marc Rothemunds "Sophie Scholl – Die letzten Tage" (2005), Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" (2004) und Dennis Gansels "Napola – Elite für den Führer" (2004) wiederholt aufgegriffen. Auffallend ist dabei bei den beiden letztgenannten Filmen, wie sehr aus der Täterperspektive erzählt wird und auch mit Identifikation des Zuschauers mit dieser Perspektive gearbeitet wird. Mit quasidokumentarischer Erzählweise soll der Zuschauer in "Der Untergang" förmlich in den Führerbunker versetzt werden und in "Napola" wird geschickt mit Manipulationstechniken, die Begeisterung, die der Nationalsozialismus spezielle auf junge Menschen vielfach ausgeübt hat, auch im Zuschauer geweckt. Bricht Gansel freilich mit Fortdauer des Films mit dieser Begeisterung, so verharrt Hirschbiegel bis zum Ende in der Täterperspektive und lässt das Ende wirklich als Untergang und nicht als Befreiung von einem menschenverachtenden System erscheinen. – Und auch über Hitler eine Komödie zu machen, ist in Deutschland, wie Dany Levys "Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" (2007) beweist, inzwischen möglich.

Und die Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte werden weiter gehen, wie der amerikanische Stauffenberg-Film "Walküre" beweist. – Und damit auch die Diskussion über die filmische Annäherung an dieses Thema, wie schon die Diskussionen zu den Dreharbeiten von "Walküre" deutlich machten.

(1) Der Bogen spannt sich dabei von seriösen und realistischen Filmen über die Invasion in der Normandie wie "The Longest Day" (1961) oder "Saving Private Ryan" (1998) bis zu perfekt gemachten, aber historisch völlig uninteressanten Kriegsfilmen wie Robert Aldrichs "The Dirty Dozen" (1967) oder Sam Fullers "The Big Red One" (1980).

(2) Der deutsche Bundestagspräsident Philipp Jenninger löste mit seiner Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht, in der er sich der Nazi-Terminologie bediente und Zitate über Vorurteile benutzte, ohne Anführungszeichen mitzusprechen, einen Skandal aus und trat einen Tag später von seinem Amt zurück.



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Die Mörder sind unter uns (Wolfgang Staudte, 1946)
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Die Brücke (Bernhard Wicki, 1959)
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Ich war 19 (Konrad Wolf, 1967)
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Nuit et brouillard (Alain Resnais, 1955)
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Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin (André Heller/Othmar Schmiderer, 2002)
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Der Untergang (Oliver Hirschbiegl, 2004)
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Walküre (Bryan Singer, 2008)