Nachrichten aus der Zwischenstadt

Der Städteplaner und Architekt Thomas Sieverts prägte Mitte der 1990er Jahre den Begriff Zwischenstadt für die zunehmende Zersiedelung der Landschaft. Dabei ist es die Fotografie, die bereits in den 1960er und 70er Jahren die Aufmerksamkeit auf dieses bis dahin "bildunwürdige" Thema lenkt: Künstler wie Ed Ruscha und Dan Graham oder Fotografen wie Robert Adams und Lewis Baltz fotografieren nicht heroische Metropolen oder erhabene Naturlandschaften, sondern Tankstellen, Parkplätze, Vorstadtsiedlungen, Motels und Gewerbeparks.

Sie zeigen Vorstädte und landschaftliche Situationen, die unbestimmt sind und machen die Anonymität von Gebrauchsarchitektur und Fertighäusern sichtbar. Die Ausstellung folgt diesen Fährten und zeigt neben Fotografien aus der Sammlung des Museum Ludwig Werke der nächsten Künstlergeneration. Diese nimmt zusätzlich zu den urbanen Strukturen auch deren psychosoziale Einflüsse auf die Bewohner in den Blick.

Bernd und Hilla Becher fotografieren Industriearchitekturen nach einem festgelegten System und fügen sie zu Gruppenbildern zusammen. Auf gleiche Weise dokumentieren sie auch Wohnhäuser von Arbeitern. Über die künstlerische Wirkung hinaus sind die Bechers immer auch am Verhältnis von Form und Funktion in ihrer regionalen Ausprägung interessiert. Ihre Schüler Thomas Struth, Andreas Gursky und Thomas Ruff spüren hingegen der Anonymität und Auswechselbarkeit der Nachkriegsbauten nach, die sowohl ihre räumliche als auch historische Verankerung verloren haben.

Einen zweiten Schwerpunkt in der Ausstellung bildet die Künstlermappe Los Alamos von William Eggleston, die erstmals seit 2004 wieder komplett zu sehen ist. Sie enthält Fotografien, die Eggleston während seiner Reisen von Memphis ins Mississippi-Delta, nach New Orleans, an die Pazifikküste, Südkalifornien und Las Vegas gemacht hat. Festgehalten sind Schilder, Autos, Schnellrestaurants, Plastikschmuck und Reisende. Mit seinem "demokratischen Verfahren" erklärt Eggleston alles gleichermaßen für bildwürdig. Er vermeidet so eine klassische Komposition mit Bildzentrum; Mensch und Objekt erscheinen gleichbedeutend, das fotografische Subjekt tritt hinter der Apparatur zurück.

In den 1960er und 70er Jahren prägt sich in den USA ein wachsendes ökologisches Bewusstsein aus. Robert Smithsons Auseinandersetzung mit sich wandelnden Naturprozessen, die er als von Menschen verursacht sieht, ist ein Hinweis auf diese frühe Bewegung. Der Film Spiral Jetty zeigt ausschnitthaft die Entstehung seines Land-Art-Projekts im Großen Salzsee von Utah, in der Nähe einer veralteten Industrieanlage. Die mit Steinen aufgeschüttete Spiralform steht für Wiedergeburt, Wachstum und Unendlichkeit.

Mit seinen Ruhrlandschaften dokumentiert Joachim Brohm den Strukturwandel im Ruhrgebiet von der Industrie- zur Freizeitlandschaft. Seine vom erhöhten Standort aufgenommenen Fotografien nehmen alles in den Blick, gleichgültig ob es sich wie bei der Arbeit Essen um grillende Menschen in Badeanzügen, Zelte oder parkende bunte Autos handelt. Überall zeugen Spuren vom Eingriff des Menschen in die Natur: Ein Graben ist gezogen, Erde aufgeworfen und neue Bäume sind gepflanzt. Brohm zeigt ein Zwischenstadium von Natur und Kultur in einem Niemandsland zwischen den zusammenwachsenden Städten.

Die Wechselwirkung von Zentrum und Peripherie zeigt bereits Chargesheimer in seiner Fotoreihe Köln 5 Uhr 30 von 1970: Im Hochformat und mit extremem Weitwinkel lichtet er die Orte Kölns ab, die an den Rändern der Aufmerksamkeit liegen. Gegensätze von Alt und Neu prallen hier aufeinander, Verworfenes und Anonymes, U-Bahneingänge, Parkplätze und Fußgängerzonen entwickeln in dieser Konfrontation einen eigenen ästhetischen Reiz.

Manfred Pernice lässt sich von solchen Gebrauchsarchitekturen zu seinen Skulpturen inspirieren. Sie sind von Räumen (wie Industrieanlagen, Kanälen, Hochhäusern oder Wehranlagen) und Behältern (wie Dosen und Containern) abgeleitet, deren Formen die jeweilige Funktion bestimmt. Weil die Erinnerung an diese Funktionen erhalten bleibt, entstehen auch entsprechend dichte Assoziationsgefüge. Pernice’ Arbeit Hangelar lehnt sich ironisch an das Flughafenhauptgebäude der gleichnamigen Ortschaft zwischen Bonn und Sankt Augustin an. Dass dieser Ort seit 1951 vom Bundesgrenzschutz genutzt wird und die Flüge nach Mogadischu 1978 von Hangelar aus starteten, lässt sich von den auf die Arbeit applizierten Dokumenten erfahren. Pernice interessiert sich für das Ungefähre und Unbestimmte, das vor allem von den Stadtlandschaften der 1970er Jahre ausgeht. Hier werden Landschaften zu Gegenden ohne Geschichte und Städte zu gesichtslosen Orten – offen für und wartend auf eine neue Inbesitznahme.

An der Ausstellung beteiligte Künstler: Bernd und Hilla Becher, Joachim Brohm, Chargesheimer, Mark Dion, William Eggleston, Jeanne Faust, Andreas Gursky, Douglas Huebler, Joan Jonas, Manfred Pernice, Peter Piller, Thomas Ruff, Robert Smithson und Thomas Struth.

Nachrichten aus der Zwischenstadt
Fotografie, Video und Skulptur aus der Sammlung
13. August bis 23. Oktober 2011