My dearest Martha

27. Juli 2011 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Sie sei verrückt, sprunghaft und also nicht zuverlässig, sagte einst Friedrich Gulda. Na, das sagte ja der Richtige! Zuverlässig ist sie alle Mal und absolut, und ein jeder kann sich darauf felsenfest verlassen: Wenn sie spielt, dann spielt sie nicht! Dann ist es ihr voller Ernst und keinesfalls ein Spiel, denn derart zuverlässig wie Martha Argerich musiziert sich niemand die Seele aus dem Leibe! Als kehre sie ihr Innerstes nach außen

Am 5. Juni feierte Martha Argerich ihren 70. Geburtstag. Ein Leben, so intensiv, aus- und angefüllt, aus dem man mühelos auch drei machen könnte! Sie ist eine jener, die in der Lage sind, sich auf der Autobahn des Lebens selbst zu überholen. Keine Geschwindigkeitsbegrenzungen, keine Einschränkungen, keine Kompromisse. Leben, leben, leben! Möglichst wenig falsch zu machen kam ihr nie in den Sinn, alles richtig machen, perfekt sein, das scheint ihre Devise. Doch der Handel mit Devisen birgt so manches Risiko!

Drei Ehen, drei Töchter, unzählige Zigaretten, noch mehr Kaffee und seit mehr als 30 Jahren einen ganz besonders guten Freund. Mischa Maisky, der nette Lette, der Ausnahmecellist, der graue Löwe, der ehemalige Schüler von Piatigorsky und Rostropowitsch, mit einer Ausstrahlung, einer Menschlichkeit und einem musikalischen Vermögen... Sie merken schon, liebe Leser, ich mag und bewundere ihn, als Musiker und auch als Mensch. Ich hatte vor einigen Jahren das Glück, mich nach einem seiner Konzerte kurz mit ihm unterhalten zu dürfen, und seither ist’s noch schlimmer geworden mit der Schwärmerei.

Mischa Maisky war der erste Cellist, mit dem Martha Argerich je auftrat. Eine einzigartige und kongeniale Konstellation, für die der Komponist Rodion Schtschedrin gar eigens ein Doppelkonzert schrieb. Als Hommage an "seine Martha" hat Maisky eine Auswahl ihrer Aufnahmen auf der Doppel-CD "My dearest Martha" (Universal / Deutsche Grammophon) zusammengestellt, die den Werdegang der Pianistin eindrucksvoll und exemplarisch illustriert.

Sie war schon immer sehr eigenwillig und auch unbeugsam. Als Zwölfjährige verweigerte sie ihrem späteren Mentor Friedrich Gulda seine Bitte, ihm etwas vorzuspielen. Einige Jahre später wollte sie genau dies bei ihrem Idol Vladimir Horowitz durchsetzen. War es der Horror, war es ein Witz? Er wollte sie nicht hören (also doch der Witz)!

Sicherlich haben Sie Chopins "Heroische" Polonaise oder auch Tschaikowskys Klavierkonzert Nr.1 und Schumanns Kinderszenen schon mehrfach gehört, aber so? Martha Argerich spielt, als ginge es um ihr Leben. Jetzt oder nie! Alles oder nichts! Sie geht bis ins Innerste der Komposition, um anschließend in sich zu gehen und beim Klavierspiel außer sich zu geraten! Sie, die Unantastbare, das Tastengewitter, das Klaviaturwiesel, leidenschaftlich das Innere nach außen kehrend und immer musikalisch herausragend, perfekt und unvergleichlich!

Und just in solchen Momenten beschleicht mich das Gefühl, als sehne sie sich danach, daß es dort bliebe - das Innere mal außen bliebe. Daß sie sich nach überschaubarer Leere verzehrt, nicht stets die Tastentigerin sein möchte und auch nicht die Rebellin. Daß sie hingegen bisweilen allzu gerne leidenschaftlich sprachlos, sanft beschützt teilen würde, teilen, damit etwas Seelenruhe und Unerschütterliches für immer bliebe.

"(...) Ach so mild und so rein
Drang ihr Bild ins Herz mir ein.
Martha! Martha! Du entschwandest
Und mein Glück nahmst du mit dir;
Gib mir wieder, was du fandest,
Oder teile es mit mir,
Ja, teile es mit mir."
(aus Friedrich von Flotows Oper "Martha")

Herzlichst
Ihre Rosemarie Schmitt