Das 1936 von Luzzi und Michael Wolgensinger gegründete Fotoatelier war über sechs Jahrzehnte hinweg eine Zürcher Institution und wichtiger Treffpunkt der internationalen Avantgarde. Die Ausstellung „Fotoatelier Wolgensinger” im Museum für Gestaltung Zürich stellt erstmals das reiche Gesamtwerk in den Fokus. Mit Sachfotografien, Reportagen, Porträts, Industrie-, Architektur- und Theateraufnahmen sowie preisgekrönten Filmen leisteten Luzzi und Michael Wolgensingers einen wichtigen Beitrag zur Schweizer Moderne.
In der Ausstellung ist das umfangreiche Œuvre von Luzzi und Michael Wolgensingers erstmals in seiner Gesamtheit zu sehen. Die Schau gliedert sich in acht thematische Bereiche, die einerseits auf die Breite ihres Schaffens verweisen, andererseits aber auch gestalterische Leitlinien erkennen lassen, die sich wie rote Fäden durch das Werk ziehen. Zu sehen sind neben Originalabzügen und Reproduktionen auch Filme, Fotobücher und persönliche Alben sowie grafische Anwendungen wie Plakate, Broschüren und Werbeanzeigen.
Luzzi Herzog und Michael Wolgensinger lernten sich an der Kunstgewerbeschule Zürich kennen. Nach einer Fotografenlehre hospitierte Michael Wolgensinger von 1935 bis 1937 in der Fotofachklasse bei Hans Finsler und arbeitete anschließend als Architekturfotograf in dessen Atelier in der Werkbundsiedlung Neubühl. Luzzi besuchte in denselben Jahren die Fotofachklasse. Die beiden wurden beruflich und privat ein Paar und gründeten 1936 ihr gemeinsames Atelier in Zürich. Bereits in den ersten Jahren wurden sie mit der Dokumentation kultureller Großereignisse im In- und Ausland beauftragt. Einer ihrer ersten Aufträge war die Dokumentation des Schweizer Pavillons auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1937, gefolgt von der Schweizerischen Landesausstellung im Jahr 1939. Diese Aufträge boten dem Kleinunternehmen die Möglichkeit, sich weiter zu profilieren, und sicherten das Einkommen in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit.
Das Haupttätigkeitsfeld des Fotoateliers war zunächst die Werbefotografie. Mit ihrer in der Tradition der Neuen Sachlichkeit stehenden Bildsprache trafen die Wolgensingers den Nerv der Zeit und avancierten schnell zu gefragten Partnern vieler Grafiker:innen – die Sachfotografien des Ateliers zählten zu den besten. Ihr Portfolio war jedoch von Anfang an breit gefächert. Bald erhielten sie auch Aufträge für Bildreportagen und Dokumentationen von Produktions- und Industriebetrieben, zunächst von Zeitungen und Zeitschriften, später dann auch direkt von Firmen. Dabei standen nicht nur die Produktion, sondern auch die im Akkord arbeitenden Menschen im Vordergrund. Die Architekturfotografie mit Schwerpunkt Zürich war zeitlebens ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Wolgensingers. So entstand eine einzigartige Dokumentation der Zürcher Baukultur. Seit 1940 experimentierten sie auch mit dem Medium Film. Bald machten sie sich auch in diesem Bereich einen Namen, erhielten Aufträge für Werbefilme und gewannen namhafte Preise. Durch ihre Freundschaft mit Schauspieler:innen und Theaterautor:innen fotografierten die Wolgensingers seit Ende der 1930er Jahre auch Aufführungen des Zürcher Kleintheaters, darunter das legendäre Cabaret Cornichon. Auch zu Fred Schneckenburger und seinem Puppencabaret hatten sie eine enge Beziehung: Neben der fotografischen Dokumentation war Michael auch für Ton und Licht bei den Aufführungen zuständig. Luzzi trat als Texterin und Puppenführerin in Aktion.
Zahlreiche Reisen ermöglichten es den beiden, fotografisch eigene Wege zu gehen. Bereits Anfang der 1930er Jahre war Michael gerne mit seiner Leica unterwegs. Dabei entstanden wegweisende, stimmungsvolle Bilder von Menschen bei der Arbeit und lebendige Naturaufnahmen. Ab Mitte der 1930er Jahre reisten die beiden als Paar in diverse europäische Länder; nur der Zweite Weltkrieg unterbrach ihre Reiselust für einige Jahre. Ab Ende der 1950er Jahre kamen auch entferntere Destinationen hinzu. Dabei entstanden spannende sozialdokumentarische Aufnahmen über Lebensbedingungen, Alltag und Arbeit rund um den Globus.
Das bis in die 1980er Jahre bestehende Fotoatelier Wolgensinger mit wechselnden Standorten war immer ein lebendiger Mikrokosmos mit bis zu zehn Mitarbeitenden. Zu den Lernenden zählten bekannte Fotografen wie Robert Frank, Friedrich Engesser oder der Lichtkünstler Christian Herdeg. Während Luzzi vor allem das Atelier und die Bildproduktion leitete, stand Michael meist hinter der Kamera. Michael war der Visionär, Luzzi die Organisatorin – eine Arbeitsteilung, die exemplarisch für viele Gestalter:innenpaare ist, die zu dieser Zeit zusammenarbeiteten, und die die Frage nach der Autorenschaft aufwirft. Zeitlebens stand Michaels Name im Vordergrund. Weniger bekannt ist, dass Luzzi bei den meisten Aufnahmen Regie führte und allein für die Retusche und Entwicklung der Farbfotografie verantwortlich war.
Fotoatelier Wolgensinger – Mit vier Augen
Bis 7. September 2025
Museum für Gestaltung Zürich, Toni-Areal