Mika Rottenberg: Antimatter Factory

Bis zum 10. August gibt das Kunst Haus Wien in der Überblicksausstellung „Antimatter Factory” einen umfassenden Einblick in das vielseitige Schaffen von Mika Rottenberg. Präsentiert werden ihre bekanntesten Filme und Installationen aus den Jahren 2003 bis 2022 sowie eine Auswahl kinetischer, teils interaktiver Skulpturen mit surrealen Funktions- und Materialkompositionen aus den Jahren 2020 bis 2022. Ebenfalls zu sehen ist ihre jüngste Werkgruppe „Lampshares” aus dem Jahr 2024, die natürliche organische Strukturen mit farbigen Lampenschirmen aus wiederverwertetem Plastik verbindet.

In Mika Rottenbergs „Antimatter Factory” steckt eine absurde Welt: Ein Finger streckt sich aus der Wand, Menschen niesen Mahlzeiten auf den Tisch und aus Holzstämmen wachsen Plastikpilze. Die 1976 in Argentinien geborene, in Israel aufgewachsene und in New York lebende Künstlerin nimmt in ihren surrealen, kaleidoskopischen Bildwelten den Hyperkapitalismus und seine sozialen und ökologischen Folgen kritisch und humorvoll unter die Lupe.

Der Titel der Ausstellung, „Antimatter Factory”, bezieht sich auf den Namen einer Forschungsabteilung am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) in Genf, die Experimente mit Antimaterie durchführt. Rottenberg hat „Spaghetti Blockchain“ (2019) teilweise am CERN gefilmt und dabei die komplexen Prozesse der Teilchenbeschleunigung mit scheinbar alltäglicher, aber komplizierter menschlicher Arbeit verwoben. Mit dieser Arbeit stellt die Künstlerin die Wahrnehmung von Wert, Energie und vernetzten Systemen in Frage.

Mika Rottenberg erschafft Fantasiewelten von verführerischer Sinnlichkeit und irritierender Logik. Aus einer augenzwinkernden marxistischen Perspektive und mit Blick auf den menschlichen Körper untersucht sie kapitalistische Produktionsbedingungen und den Wert von Arbeit. Ob eine Perlenzucht, ein chinesischer Großmarkt für Billigwaren oder die Herstellung von Fertiggerichten – Rottenbergs Arbeiten decken die grotesken Mechanismen globaler Lieferketten, industrieller Fertigung und profitorientierter Arbeit auf und zeigen die skrupellose Ausbeutung von Menschen und Ressourcen. Mit absurd-entwaffnendem Humor beleuchtet die Künstlerin die zunehmende Entfremdung in einer hyperkapitalistischen Welt und mahnt die Dringlichkeit eines Ausstiegs aus diesen Strukturen an.

Die Befragung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion zieht sich wie ein roter Faden durch Rottenbergs filmische Installationen. Menschen und Dinge scheinen in Bewegung zu geraten, Raum und Zeit sowie Vergangenheit und Zukunft vermischen sich. In Rottenbergs Filmen verrichten die Menschen die verschiedensten Tätigkeiten: Sie niesen Steaks, Kaninchen, Glühbirnen oder ganze Mahlzeiten auf Tische und Teller, befeuchten Haare, Füße oder Hintern und sitzen inmitten von Plastikwaren oder glitzernden Girlanden auf Kundschaft wartend. Rottenbergs vielschichtiges Werk kann als Spiegel unserer globalisierten Zeit verstanden werden, „in denen nichts mehr verschwindet, sondern alles infolge einer frenetischen Archivierung angehäuft wird.“ (Nicolas Bourriaud, Radikant, 2009).

Der Soziologe Simon Schaupp hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Stoffwechselpolitik” (2024) die Wechselwirkung von Natur- und Arbeitsverhältnissen in den Fokus gerückt: Je umfassender die Natur nutzbar gemacht wird, desto drastischer wirkt sie auf die Arbeitswelt zurück. Schaupp knüpft hier an Karl Marx an, der Arbeit als „gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur“ beschrieb: Gesellschaften greifen durch Arbeit auf die Natur zu, verändern sie dadurch und produzieren so Abfallprodukte, die in den Kreislauf zurückkehren.

In Rottenbergs Werk ist menschliche Arbeit der Motor eines ungebremsten Wachstums, das Mensch und Natur gleichermaßen ausbeutet. Ihr sozialer Surrealismus ermöglicht einen veränderten Blick auf die komplexen Stoffwechselprozesse unserer Zeit. Die Werke scheinen keine räumlichen Orientierungspunkte wie oben und unten oder innen und außen zu kennen und fangen so die widersprüchliche Natur des 21. Jahrhunderts ein, das von globalen Lieferketten, Digitalisierung und ökologischen Umwälzungen geprägt ist.

Mika Rottenberg
Antimatter Factory
Bis 10. August 2025