Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen

Die Graphische Sammlung im Städel Museum zeigt vom 6. März bis 7. Juni 2009 eine Ausstellung, die sich an dem besonders umstrittenen Beispiel von Michelangelo Buonarroti (1475–1564) mit der Frage der Zuschreibung von Altmeisterzeichnungen beschäftigt. Michelangelo hat neben seinen weltberühmten Skulpturen, Fresken und Bauwerken eine große Anzahl von Zeichnungen geschaffen, die zu seinen Lebzeiten sehr bewundert wurden. Da er sie nie signiert hat und viele kurz vor seinem Tod verbrannte, ist heute bei vielen erhaltenen Blättern nicht einfach zu bestimmen, ob sie tatsächlich eigenhändig sind oder ob es sich um Kopien oder Nachahmungen anderer Künstler handelt.

Anlass für die Ausstellung bildet eine Zeichnung in der Graphischen Sammlung des Städel Museums, deren Zuschreibung an Michelangelo in der Vergangenheit kontrovers diskutiert wurde. Zuletzt wurde sie von einigen Experten erneut Michelangelo zugeschrieben. Anhand ausgewählter Beispiele – darunter kostbare Leihgaben aus den Sammlungen des British Museum, London, der Royal Collection, Windsor, der Casa Buonarroti, Florenz – bietet die Ausstellung verschiedene Möglichkeiten des unmittelbaren visuellen Vergleichs, um den Besuchern Gelegenheit zu einer eigenen Auseinandersetzung mit dieser Frage vor originalen Werken zu geben.

Die Graphische Sammlung im Städel Museum besitzt eine herausragende Sammlung von Zeichnungen der italienischen Renaissance, die zu den besten in Deutschland gehört. Sie wurde vor allem von dem großen Kenner Johann David Passavant (1787–1861) aufgebaut, der von 1840 bis zu seinem Tod als Inspektor der Galerie die Sammlungen des Städel um viele wertvolle Erwerbungen bereichert hat. Der nazarenische Maler Passavant war ein Spezialist, was Raffael betraf, dessen Zeichnungen heute zu den Spitzenstücken der Städel’schen Sammlung zählen. Beim Ankauf von Werken Michelangelos bewies Passavant jedoch eine weniger glückliche Hand; es gelangen ihm nur wenige, nicht zweifelsfreie Erwerbungen, weshalb das Blatt der "Grotesken Köpfe" in Frankfurt verhältnismäßig wenig beachtet blieb.

Die Ausstellung ist in sieben Kapitel unterteilt. Im ersten geht es um einen Vergleich einer Zeichnung Michelangelos mit der Darstellung des "Lazarus" mit einer seines Freundes, des Malers Sebastiano del Piombo. Letztere stammt aus der Sammlung des Städel Museums. Beide Zeichnungen entstanden für dasselbe Gemälde, die von Sebastiano ausgeführte "Auferweckung des Lazarus" (heute in der National Gallery, London). Da sich Sebastiano in einer Konkurrenzsituation zu Michelangelos größtem Rivalen, Raffael, befand, unterstützte Michelangelo seinen Freund mit Entwurfszeichnungen. Diese sind von der Forschung teilweise für Werke Sebastianos gehalten worden. In der Ausstellung ist es möglich, die unterschiedliche Zeichenweise des venezianischen Malers Sebastiano und des Florentiner Bildhauers Michelangelo unmittelbar zu vergleichen.

Ein nächstes Kapitel zeigt Blätter, auf denen Zeichnungen Michelangelos von Schülern nachgeahmt wurden. Man kann bei aufmerksamer Betrachtung verschiedene "Hände" unterscheiden und manchmal auf faszinierende Weise rekonstruieren, wie ein bezeichnetes Blatt nach und nach in einem "Dialog" zwischen Meister und Schüler entstanden ist. In diesem Kontext geht es auch um die Frage, wer Michelangelos Schüler waren. Es handelte sich um seine Hausgehilfen und einige Jünglinge aus gut situierten Familien; keiner von ihnen wurde, soweit man weiß, später je mit eigenständigen Kunstwerken bekannt.

Das Kapitel der "Idealen Köpfe" stellt nach den oft schnellen und andeutenden Skizzen aus der Lehrer-und-Schüler-Situation das andere Extrem der Zeichenkunst Michelangelos vor: akribisch ausgeführte Meisterzeichnungen, die er oft als persönliche Geschenke angefertigt hat und die unter den Sammlern und Kennern seiner Zeit hoch begehrt waren. Das Problem, das sich hier für die Zuschreibung stellt, ist, woran man die Qualität einer nicht schnell und virtuos, sondern langsam und sorgfältig ausgeführten Zeichnung erkennen kann. Vergleiche mit einer frühen Kopie und einem ebenfalls nur als Kopie erhaltenen Gegenstück lassen die ungewöhnlich hohe Qualität des "Idealen Frauenkopfes" aus dem British Museum erkennen, auf die sich die Zuschreibung dieses Blattes stützt.

Nach den "Idealen Köpfen" geht es um ihr Gegenteil, die Hässlichkeit, mit der sich Michelangelo in den phantasievollen Erfindungen seiner "Grotesken Köpfe" beschäftigt hat. Hier werden dem oben erwähnten Frankfurter Blatt der "Grotesken Köpfe" verschiedene Vergleichsbeispiele aus anderen Sammlungen gegenübergestellt und Fragen seiner Eigenhändigkeit diskutiert. Von großer Bedeutung ist dabei die in den vorherigen Kapiteln schon angesprochene Beobachtung, dass Michelangelo, je nachdem, welchen Zweck er mit einer Zeichnung verfolgte, auf sehr unterschiedliche Weise gezeichnet hat (schnell, langsam, virtuos, sorgfältig, flüchtig etc.), auch wenn die grundsätzlichen Charakteristika sich immer wiederfinden (modellierendes Zeichnen, schichtweises Zeichnen, anatomisches Interesse, Denken vom inneren Aufbau her, Erfindungsreichtum).

Das letzte Kapitel versucht, ein Blatt von unbekannter Hand, das Johann David Passavant 1850 irrtümlich als Original von Michelangelo für das Städel Museum erworben hat, anhand von zwei Vergleichsbeispielen einem anderen Künstler, dem Miniaturisten Giulio Clovio (1498–1568), zuzuschreiben.


Katalog zur Ausstellung: "Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen" Autor: Martin Sonnabend, Vorwort von Max Hollein, 173 S., 78 farbige Abbildungen, Städel Museum, Frankfurt am Main, Michael Imhof Verlag, 2009, 29,90 Euro, ISBN 978-3-9809701-7-4

Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen
6. März bis 7. Juni 2009
Städel Museum, Graphische Sammlung